Walter Zeman
Der Tiger von Hütteldorf
Der 30. Juni 1954 war der schwärzeste Tag im sportlichen Leben von Walter Zeman, dem Torhüter von Rapid Wien und der österreichischen Nationalmannschaft. An diesem Tag standen sich im Halbfinale der Fußball-WM in der Schweiz Deutschland und Österreich in Basel gegenüber. Die Deutschen überfuhren die favorisierten Österreicher mit 6:1. Leidtragender und Mitverantwortlicher war Zeman, dem der Ruf vorausging, einer der besten Torhüter Europas zu sein. Doch der „Tiger von Hütteldorf “, wie man ihn in seiner Heimat nannte, musste an diesem Tag auch aufgrund der grottenschlechten Abwehrleistungen seiner Vorderleute viel springen und hechten und tat das obendrein recht orientierungslos. Der legendäre Radioreporter Heribert Meisel vom Österreichischen Rundfunk war der einzige Österreicher, der an diesem Tag in Hochform war: „Von den Deutschen eingeworfen zu Schäfer, Schäfer halblinks, wieder nicht gedeckt, genau, der Schäfer wird schießen, schießt auch, daneben, und der Zeman, der Zeman, mein Gott, alles ist durcheinander, alles hat die Nerven verloren. Nur das kann ich sagen. Der Schäfer schießt aus zwanzig Metern Entfernung, der Ball geht zwei Meter neben unserem Tor ins Aus, und der Zeman hält noch den Fuß hin, damit es ja ein Eckball ist. Hat man so was schon gesehen! Eckstoß für Deutschland. Ein geschenkter Eckball, würde mich wundern, würde mich nicht wundern, wenn jetzt das vierte Tor für Deutschland fallen würde.“ Natürlich fiel es, und Meisel kommentierte: „Ich bin sprachlos.“ Das wollte was heißen.
Walter Zeman wuchs als Sohn tschechischer Eltern im Wiener Arbeitermilieu des Stadtteils Favoriten auf. Er war ein „Ziegelbehm“, wie man die Einwanderer und Arbeiter aus den böhmisch- mährischen Landesteilen des 1918 untergegangenen Kaiserreiches Österreich-Ungarn geringschätzig nannte. Sein Talent wurde früh erkannt, sodass er recht schnell bei Rapid Wien landete. Dort beerbte er den berühmten Rudolf Raftl, der nicht nur Nationaltorwart Österreichs war, sondern auch für die „großdeutsche“ Mannschaft nach der Annexion Österreichs 1938 durch die Nationalsozialisten das Tor hütete.
Eine besondere Stärke Zemans war seine enorme Sprungkraft und Beweglichkeit, was ihn in den Schlagzeilen der Sportpresse bald zum „Tiger der Torhüter“ machte. Immer dann, wenn er bei einem Länderspiel große Leistungen gezeigt hatte, wurde er zum „Tiger“ von Paris, Glasgow, Budapest usw.. Ernst Happel, der vor ihm als Stopper spielte, relativierte das einmal während eines Spiels mit den höhnischen Worten: „Wos bist du, da Panther von Glasgow? Da Tiger von Budapest? Das Orschloch von Hütteldorf bist du!“ Das schloss nicht aus, dass Zeman und Happel zeitlebens enge Freunde blieben, auch wenn ihre Lebenswege weit auseinandergingen.
„Der Zeman, der Zeman, mein Gott, alles ist durcheinander“
Zeman war der Rückhalt der großen Rapidmannschaft, die mit Ausnahmekönnern besetzt war, absolute europäische Spitze darstellte und das Rückgrat der Nationalmannschaft bildete, die, man stelle es sich vor, neben Ungarn als Favorit zur Fußball-WM 1954 in die Schweiz fuhr. Hanappi, Merkel, Happel, Probst, Dienst, Körner I und Körner II spielten schon ein brasilianisches System, weil sie als Repräsentanten der Wiener Schule über die notwendige Technik verfügten und ihnen von Trainer Hans Pesser ein Spielsystem verordnet worden war, das absolute Flexibilität der einzelnen Spieler zur Übernahme von Offensiv- und Defensivaufgaben verlangte, je nach Spielsituation.
In den fünfzehn Jahren bei Rapid Wien konnte Zeman acht Meistertitel feiern. Das war nicht einfach, denn es gab einen harten Wettbewerber aus dem Stadtteil Favoriten, die „Violetten“ vom FK Austria Wien, die zur gleichen Zeit mit Spielern wie Ocwirk, Stojaspal, Stotz und Melchior ebenfalls über Ausnahmekönner von höchstem europäischen Niveau verfügten.
Sein erstes Länderspiel bestritt Zeman mit 18 Jahren, sieben Monate nach Kriegsende, am 6. Dezember 1945 in Wien gegen Frankreich, das mit 4:1 gewonnen wurde. Fast unvorstellbar, dass wenige Monate zuvor noch Österreicher als Soldaten der deutschen Wehrmacht an der Front gegen Franzosen kämpfen mussten; „Bimbo“ Binder, in diesem Spiel Mittelstürmer der Österreicher, war Anfang 1945 während der Ardennenoffensive in französische Gefangenschaft geraten.
Dem jungen Zeman stand eine lange, erfolgreiche Karriere als wohl bester österreichischer Torhüter aller Zeiten bevor, die international am 29. Mai 1960 mit einem Länderspiel gegen Schottland (4:1) erfolgreich endete. Anschließend wechselte er von Rapid Wien noch für ein Jahr zum Salzburger AK. Dann setzte sich der „Tiger“ zur Ruhe, er war müde geworden. Zeman arbeitete weiter als Nachwuchs- und Assistenztrainer von Rapid Wien. Es wurde ruhig um ihn, und er zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Er verstarb früh. Als sein Freund Ernst Happel beim Begräbnis auf dem Baumgartener Friedhof nahe des Rapid-Stadions von seinem „Waugl“ Abschied nehmen musste, liefen ihm bei den Worten „Mach᾿s gut Walter“ die Tränen über die Wangen.
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