Alfredo Di Stefano
„El aleman“
Man nannte ihn „el Aleman“, den Deutschen, weil er blond war. Aber nichts lag in seiner Vita ferner als Deutschland, obwohl seine Lieblingsspeise Hackbraten mit Kartoffelbrei war. Sein Großvater wanderte 1888 aus Capri in Italien nach Argentinien aus und arbeitete zunächst als Sackträger im alten Hafen von Buenos Aires, in „la Boca“ , wo Millionen von Einwanderern aus Europa nach wochenlanger Fahrt über den Atlantik, meistens unter Deck , wieder festen Boden unter die Füße bekamen, und das auf einem sehr fremden Kontinent mit umgekehrten Jahreszeiten. Am 4. Juli 1926 kam im Stadtteil Barracas der kleine Alfredito zur Welt, im Krankenhaus „Estacion Esperanza“, Station Hoffnung. Schiffssirenen heulten sein Wiegenlied. Das Barackenviertel Barracas liegt unweit des Hafengebietes von „la Boca“, (dem Mund), der Heimstätte der „Boca Juniors“. Deren Gründungsgeschichte ist ein paar Nebensätze wert. Am 3. April 1905 wurde der Club von überwiegend italienischen Einwanderern gegründet. Eine entscheidende Frage war natürlich die: Welche Vereinsfarben wählen wir. Die Lösung war sehr kreativ. „Wir nehmen die Farben des ersten Schiffes, das morgen in „La Boca“ einläuft. Und es war ein schwedisches Schiff. Helles Mittelblau und goldgelbes Kreuz. Blau wie der Himmel und goldgelb wie die Sonne. Bis heute prägt diese Farbkonstellation die Vereinsfarben der Boca Juniors und des Viertels mit dem Stadtheiligen Diego Armando Maradona. Aber der junge Alfredito wurde nicht in das Proletariat dieser Arbeiter-Viertel von Buenos Aires hineingeboren. Schon sein Großvater, der Sackträger, und später sein Vater hatten für etwas Grundbesitz in der Pampa rund 100 km von Buenos Aires entfernt gesorgt. Auf der Estancia Di Stefano, einem Gut für Pferdezucht und Kartoffel-Anbau, wuchs der kleine Alfredito auf, getauft auf den Namen Alfredo Stefano Di Stefano. Die unermessliche Weite der argentinischen Steppe bot dem Jungen viel Raum zum Fußball-Spiel mit seinem ebenfalls hochbegabten Bruder Tulio auf dem staubigen Boden der Pampa. Das förderte seinen Instinkt als geistiger Lenker, der Spieler des ganzen Feldes.
1944 absolvierte er als 17 jähriger sein erstes Spiel für River Plate, aber er war noch nicht ganz reif für dieses Spitzenteam. River Plate war in seiner Gründerzeit genau wie die „Boca Juniors“, in der Boca, dem alten Hafen und dem am dichtesten besiedelten Stadtteil von Buenos Aires zu Hause. Als die Vereinsoberen den Vereinsmittelpunkt 1938 in den Stadtteil Nunez verlegten, da wo die Reichsten der argentinischen Hauptstadt wohnten, gab man dem Club den Namen „Millionarios“. Die Vereinsführung von River Plate lieh das Talent 1945 mal kurzfristig an Huracan Buenos Aires aus. Dort schaffte Di Stefano den Durchbruch sehr schnell und River Plate holte ihn nach Saisonende ebenso schnell wieder zurück.
Wo einer der größten Ströme der Welt seine Wassermassen graubraun in den Südatlantik ergießt, ganz nahe am Rio de la Plata, erhebt sich das imposante Stadion von River Plate, das „Monumental“. Da konnte der „blonde Pfeil“ nun fußballerischen Tango tanzen. Leicht, elegant und gnadenlos bewegte er sich durch die Abwehrreihen seiner Gegner, die seinem Spiel „des sich permanenten Entziehens“ hilflos zusehen mussten. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung 2008 beschrieb er diese Symbiose. „Hier etwas Ernsthaftigkeit, dort ein wenig Spaß. Das ist mein Geheimnis. Wie in einem Tango: Der Weg ist lang und verschlungen“.
Ein Streik in der argentinischen Liga –es ging wie so oft in diesem Land um ausstehende Gehälter –veranlasste zahlreiche Top-Spieler, die Angebote eines reichen Klubs aus Kolumbien zu studieren, Deportivo Los Millionarios Bogota. Fast die gesamte argentinische Nationalmannschaft emigrierte von den „Millionären“ zu den „Millionären“ in das kolumbianische Hochland, obwohl ihnen als Flachländern in 2500 Metern Höhe zunächst die Luft ausging. Der brillante Fußball dieser „Fremdenlegion“, ergänzt um die besten kolumbianischen Spieler, blieb im Lande der alten Kolonialmacht Spanien nicht verborgen. Nach langem Tauziehen zwischen den „Millionarios“ aus Buenos Aires und denen aus Bogota um die Transferrechte und zwischen FC Barcelona und Real Madrid um die Verpflichtung des „blonden Pfeils“ löste Di Stefano ein Politikum aus. Er wollte zu Barcelona wechseln und trainierte bereits bei den Katalanen. Aber Real Madrid wollte ihn auch und bekam ihn. Die Barca-Fans glauben heute noch, dass die Franco-Diktatur, welche Real sehr nahe stand, die Finger im Spiel hatte. Aber die Faktenlage ist dünn. Di Stefano hat sich nie dazu geäußert. Aber das Ringen um ihn war einer der Auslöser der so tiefen und verkrusteten Feindschaft zwischen den beiden Clubs, welche Jahr für Jahr in „el Clasico“ kulminiert, und in dem die jahrhundertelange Rivalität der Kastilier und Katalanen ausgelebt wird. Da wird auch schon mal mit einem Schweinskopf auf den Gegner geworfen, wenn er eine Ecke ausführen will. Luis Figo kann ein Lied davon singen.
1953 war Don Alfredo Di Stefano nun bei den „Königlichen“ gelandet. Wieder bei „Millionarios“! Wie Carla Bruni. Die war eine Geliebte von Donald Trump und dann landete sie als Ehefrau bei Nicolas Sarkozy, dem französischen Staatspräsidenten. Oder Jackie Kennedy und Onassis. „Wen die Götter lieben, den führen sie zur Stelle, wo man sein bedarf“. (Johann Wolfgang von Goethe).
Mit Di Stefano kam der Erfolg zu Real Madrid, das bis dahin im Schatten von Barcelona, Valencia oder Atletico Madrid gestanden hatte. Jetzt wurde Real für das Franco-Regime interessant und das biederte sich mehr und mehr an. Ein kleiner Dialog zwischen dem Diktator und einem Jungen aus dem Volk bestätigt, wer der Heros in den Augen der jungen spanischen Generation war. Nicht Francisco Franco, sondern Alfredo Di Stefano. Franco plauderte mit einem zwölfjährigen Jungen aus dem Volk. Es kam zu folgendem Dialog: „Hast du einen Wunsch? Ja. Ich wäre sehr dankbar, wenn sie mir zwei Autogramme geben würden. Wozu gleich zwei? Reicht eins nicht? Nein: Wenn ich zwei hätte, könnte ich in der Schule eins gegen die Unterschrift von Di Stefano tauschen!“
Di Stefano machte Real in den 50er Jahren zur Weltmarke und fußballerischen Weltmacht. Er thronte über allen anderen Stars dieses Weltklasse-Ensembles (Puskas, Gento, Kopa, Rial, Didi, Santamaria, Dominguez, Munoz). Er war der Impresario des „weißen Balletts“, der Erfinder des Spiels. Er war der König der „Königlichen“, aber auch Bube, Feldherr und Soldat zugleich, weil er nicht nur Tore erzielte, sondern auch als Ballschlepper agierte und sich vor Defensivaufgaben nicht drückte. Der legendäre Ungar Ferenc Puskas erkannte die Stärke von Di Stefano als Lenker des Spiels und Erfolgsgarant. „Du bist der General, ich bin dein Soldat“. Das war nicht devot. Wie sagte sein Mitspieler Raymond Kopa. „Di Stefano war der Chef. Aber als Individualist war Puskas noch eine Spur stärker“. Das wusste auch Di Stefano.
Real übernahm dank Di Stefanos Fußballkünsten die zweite Weltherrschaft der Spanier nach Pizarro und Cortez, nur diesmal im Fußball. Er war der Wegbereiter all der Superstars der Madrilenen, die mittlerweile elf mal die Champions-League gewonnen haben. Zidane, Beckham, Ronaldo, Figo, Benzema, Kroos, Modric. Nicht zu vergessen: Sergio Ramos! Alfredo Di Stefano war der „Arc de Triomphe“ wie in Paris und verteilte den Ball in die von ihm ausgehenden Boulevards Avenue Kopa, Avenue Gento, Avenue Puskas, Avenue Rial, Avenue del Sol.
Die Großen des Fußballs waren nie die Schönsten. Klein und rundlich wie Maradona und Gerd Müller, mit frühen Glatzen wie Bobby Charlton, Di Stefano und Zidane , mit Säbelbeinen wie Garrincha oder Hasenzähnen wie bei Ronaldo, dem brasilianischen. Der portugiesische Ronaldo schlägt etwas aus der Art. Und es gibt viele Unvollendete, weil sie nie in den Olymp des Fußballs aufstiegen. Der ist den Weltmeistern vorbehalten. Wie Pele! Charlton! Beckenbauer! Maradona! Zidane. Ganz leise vernimmt man da oben den Ruf der „Unvollendeten“ unten. Von Michel Platini, Eusebio, George Best, Johan Cruyff, Ferenc Puskas, dem portugiesischen Ronaldo, und auch den von Alfredo Di Stefano, der noch nicht einmal eine WM gespielt hat. 1958 verpasste das nach dem Bürgerkrieg zerrissene Spanien die Qualifikation, 1962 war der Star verletzt.
Es gab viele königliche Feiern im 20. Jahrhundert. Die Höhepunkte waren die Hochzeit des persischen Kaisers Schah Reza Pahlawi mit Kaiserin Soraya 1951 und die der späteren Queen Elizabeth mit ihrem Prinz Philipp 1947. Prinz Charles und Lady Di waren bei ihrer Hochzeit 1981 schon keine Champions-League mehr. Die wahre Vermählung des 20. Jahrhunderts fand jedoch am 18. Mai 1960 im Hampden-Park von Glasgow statt. Es gab keine handverlesenen Gäste. Nur 127.621 Zuschauer. Sie kamen aus Schottland, Kastilien und Hessen. In Corona-Zeiten hätten die Hilfskräfte und Laborangestellten wahrscheinlich Überstunden leisten müssen, um die Tests durchzuführen. Was den Mindestabstand anbetraf hätte man den Hampden-Park ziemlich ausbauen müssen, auf halb Glasgow.
An diesem Abend, Anstoßzeit 19.30, vermählten sich Alfredo Di Stefano und Ferenc Puskas, die „Königlichen“ aus Madrid. Sie entzündeten ein Feuerwerk gegen Eintracht Frankfurt und gewannen dank vier Toren von Puskas und drei Toren von Di Stefano 7:3. Es war eine Demonstration fußballerischer Brillanz, der die Hessen nur mit großen Augen zuschauten! Wie Kinder vor dem Weihnachtsbaum. Allein die Namen der Spieler zeigten die Distanz. Stinka, Weilbächer, Eigenbrodt auf Frankfurter Seite gegen Santamaria, del Sol und Di Stefano. Das war christlicher und weltlicher Adel in der Mannschaft der Madrilenen. Als die Frankfurter Spieler am nächsten Tag auf dem Rathausbalkon des Römer in ihrer Heimatstadt erschienen und ihnen 50.00 Fans zujubelten, waren sie immer noch geblendet vom Feuerwerk des „Weißen Balletts“ am Vorabend in Glasgow. Ungeachtet der Niederlage. Für Deutschland war dieses Finale eine zweite Sternstunde des Fußballs nach dem Zweiten Weltkrieg. Sechs Jahre nach dem „Wunder von Bern“ 1954.
Diese Ehe von Glasgow war ein Gottesgeschenk. Der Argentinier aus Buenos Aires und der Ungar aus Budapest. Sie hatten keine Fußballinternate durchlaufen. Aber sie hatten absonderliche Lebenswege hinter sich, die sie so stark und überlebensfähig machten. Und genial. In den letzten 300 Jahren tauchten die großen Musiker immer paarweise auf, mit stilistischen Ähnlichkeiten und faszinierenden Unterschieden. Mozart und Haydn, Chopin und Liszt, Beethoven und Schubert, Mahler und Bruckner, Debussy und Ravel, Händel und Bach. (Daniel Barenboim). So kann man auch Di Stefano und Puskas sehen. Di Stefano, der Pampasohn aus Argentinien hatte einen orchestralen Sinn und Puskas, der Pusztasohn aus Ungarn war der Primgeiger. Beide tanzten Tango und Czardas mit ihren meist überforderten Gegenspielern. Es war eine Mesalliance!
Di Stefano war ein Meister der Aphorismen. „Fußball ohne Tore ist ein Tag ohne Sonne“. Ihn machten die Spieler verrückt, die mit dem Ball zu ergründen suchten, ob die Wolken Schnee trugen. „Woraus ist der Ball? Aus Leder! Woraus wird Leder gemacht? Aus Kuhhaut! Was essen Kühe? Gras! Wo also gehört der Ball hin? Auf den Rasen. In Vollendung praktiziert ist Fußball eine Kunst- genau wie die Malerei. Und jede echte Kunst befähigt Männer zu Außergewöhnlichem. Sonst hätten Rembrandt und Picasso auch nur „Landschaften mit Kühen“ gemalt“. Di Stefano spielte müheloser als all die anderen. Im Sprint nicht zu stoppen, vor dem Tor gewitzt und überlegt, am Ball elegant und technisch eine Augenweide. Er schien in einem Hightech-Labor kreiert worden zu sein, auf dem Platz immer die richtige Entscheidung zu treffen. Als Ehrenpräsident von Real Madrid hat er den Profi-Fußball der letzten 70 Jahre in Europa und Südamerika sehr einfühlend beschrieben. „ Jetzt gibt es viel mehr Reibung. Früher war der Fußball romantischer. Boheme. Aber es triumphierte die Schnelle. Denn im Fußball verleiht dir nur die Schnelle eine höhere Dimension“.
Caceres: „Gab es einen Spieler, der Ihnen geähnelt hätte? Der Niederländer Johan Cruyff vielleicht“? Di Stefano: „Cruyff ließ sich auch fallen, war auf der Position der Zehn, der Sieben, der Elf. Die holländische Nationalelf, in der Cruyff spielte, war diejenige, die am ehesten der Charakteristik meiner Teams in Bogota und Madrid entsprach“.
Seine Beziehung zum Ball und das Mysterium des Fußballs erklärte er in diesem Interview mit der Süddeutschen Zeitung sehr plastisch und für einen Jungen, der Fußballspieler werden will, nachvollziehbar. „Es ist das Gleichgewicht. Denn das muss man ja erst mal bewerkstelligen, den Ball mit dem Fuß zu führen. Zunächst macht man immer alles mit der Hand. Was machst du als Kind als erstes. Nach der Brust der Mutter zu greifen. Später nimmst du eine Mandarine, einen kleinen, einen großen Ball. Aber mit dem Kopf hier oben zu denken und das dann mit den Füßen auszuführen? Kunst. Deshalb verdienen die Leute so viel Geld, wenn sie einen „Ball gut treten können“.
In Südamerika pflegt man ein besonderes Verhältnis zum Spielgerät, schon in der sprachlichen Ballbehandlung. Dort ist der Ball eine Frau: „Gorduchinha“, die kleine Dicke. Vor dem Hauseingang von Di Stefano stand ein Bronzeball als Denkmal mit der Inschrift: „Danke, Süße“!
Das oben genannte Interview mit der Süddeutschen Zeitung fand 2008 im Estadio Santiago Bernabeu statt, der Heimstatt von Real Madrid. Der Journalist Javier Caceres beschrieb das Ambiente: „ Die Gehhilfe liegt neben ihm, in seiner Hand liegt ein Brieföffner, denn obwohl er bereits 81 Jahre alt ist, erhält er noch immer Post aus aller Welt. Vor Di Stefano sitzt eine junge Vereinsangestellte, die auf zwei Diktiergeräten jeden Satz archiviert, den di Stefano auf Terminen wie diesem spricht. Di Stefano, der Klubheilige. Der erste Mensch, der den Fußball zum globalen Medienereignis machte, obwohl es noch keine Satellitenübertragungen gab. Sein Name war von solchem Klang, dass ihn in Caracas einmal eine linke Guerillatruppe entführte, um ihre Anliegen weltumspannend bekannt zu machen. (Alfredo Di Stefano wurde ablösefrei und wohlbehalten freigelassen). Am Tag nach dem Interview wurde ihm eine Hommage zuteil, wie sie der Weltfußball noch nie gesehen hatte. Franz Beckenbauer, Johan Cruyff, Eusebio, Raymond Kopa, Just Fontaine und Mario Kempes kamen nach Madrid, um seine Ernennung zum Ehrenpräsidenten der UEFA zu feiern“.
Die „Götterdämmerung der „Viejos“ (die Alten) begann nach dem Triumph von Glasgow 1960 gegen Eintracht Frankfurt. Es schien, als hätte Richard Wagner selbst das Libretto für den Abend des 2. Mai 1962 im Amsterdamer Olympiastadion geschrieben. Er ließ die goldene Kette reißen. Die Weltordnung des Fußballs brach zusammen. Die Götterdämmerung begann. Aber langsamer als in Wagners Oper. Es brauchte noch zwei Jahre, zumindest bis zum 27. Mai 1964 im Praterstadion von Wien. Das Ausscheiden Reals im Achtelfinale 1961 gegen den FC Barcelona war scheinbar nur ein Betriebsunfall. Di Stefano: „Durch meine Schuld hat Real Madrid den Europapokal verloren. Ich glaubte, im Rückspiel (das Hinspiel endete 2:2 in Madrid) unersetzlich zu sein und betrachtete meine Verletzung als ausgeheilt. Das war ein schwerer Irrtum. Ich habe bei weitem nicht mein Maximum leisten können. Ich möchte schwören, dass wir Barcelona geschlagen hätten, wenn ich in Normalform gewesen wäre oder zumindest pausiert hätte“. Sehr selbstbewusst angesichts der Sturmreihe von Barcelona mit Sandor Kocsis, Zoltan Czibor und Luis Suarez. Madrid verlor 1:2.
Im verregneten Amsterdam war an diesem 2. Mai 1962 für die Madrilenen alles angerichtet, gegen Benfica Lissabon, den sensationellen Sieger des Vorjahresfinales gegen Barcelona, die neue Weltordnung wieder herzustellen. Taktisch gerissen hatte Di Stefano die ungestümen Fohlen von Benfica rund um den Jungstar Eusebio aus der Abwehr gelockt und Puskas freigespielt. Zweimal glückte das Husarenstück der „Veteranen“. Nach 20 Minuten führte Real mit 2:0. Puskas erzielte auch noch das dritte Tor. 3:1 zur Halbzeit. Die „Königlichen“ waren auf dem besten Weg, sich das „Rheingold“zurückzuholen. Aber die „Rheintöchter“ entrissen es ihnen und gaben es Eusebio. Das Spiel endete mit 5:3 für Benfica Lissabon. Ein neuer Stern, Eusebio, war über Europa aufgegangen und Lissabon schien für die nächsten Jahre die neue europäische Hauptstadt des Vereinsfußballs zu sein.
Aber diese Ära endete sehr schnell. Ein Fluch wie der von Alberich im Rheingold „Verflucht sei dieser Ring“ war der Auslöser, der von Bela Guttmann, dem Trainer von Benfica Lissabon. „Benfica wird die nächsten 100 Jahre keinen Titel mehr gewinnen“ (siehe Porträt Bela Guttmann). Es ging um Geld und Macht, wie in Wagners „Ring des Nibelungen“. Die neue Hauptstadt des Vereinsfußballs wurde für die nächsten Jahre Mailand mit den Titelgewinnen von AC Mailand (1963) und Inter Mailand (1964 und 1965). Das hatte aber mit schönem Spiel nichts mehr zu tun, sondern war ein Spiel der Maurer, praktiziert als Catenaccio (siehe Porträt Helenio Herrera).
Real Madrid hatte am 27. Mai 1964 in Wien noch mal alles in der Hand, es mit einer letzten großen Kraftanstrengung wieder auf den europäischen Fußballthron zu schaffen. Di Stefano bestritt mit fast 38 Jahren sein siebtes Landesmeisterfinale, Puskas war auch schon 37. Es war für die Veteranen schwer, gegen diese junge Mannschaft von Inter Mailand zu spielen, die aus einer disziplinierten Defensive mit drei, vier blitzschnellen Zügen das Mittelfeld überwand und mit den „Windhunden“ Jair, Corso und Mazzola die höchste Alarmstufe vor dem spanischen Gehäuse heraufbeschworen. Die „Götterdämmerung“ der „Viejos“, die bereits beim Finale 1962 gegen Benfica Lissabon begonnen hatte, war nun endgültig und eine neue Weltordnung des Fußballs ging auf mit Clubs wie Inter und AC Mailand, Manchester United, Ajax Amsterdam, Bayern München und dem FC Liverpool.
Alfredo Di Stefano machte später noch ein paar Spiele für Espanyol Barcelona. Seine Trainerkarriere ab 1967 war ganz ordentlich. Er trainierte namhafte Vereine wie die Boca Juniors, River Plate, Valencia und Real Madrid und gewann einige Titel. In der Erinnerung aber bleibt er, der später zum Ehrenpräsidenten von Real Madrid ernannt wurde, als genialer Fußballer und mit dem damaligen Päsidenten Santiago Bernabeu der Begründer der erfolgreichsten Ära einer Vereinsgeschichte.