Anton „Toni“ Fritsch
Der Wembley-Toni
Seine beiden Tore am 20. Oktober 1965 im ruhmreichen Wembleystadion zum 3:2 Österreichs gegen England machten das 334. Länderspiel Österreichs nicht nur zum nationalen Triumph und Fußballfeiertag Austrias, sondern verschafften auch dem Schützen einen neuen Namen. Der „Wembley-Toni“ war geboren, und dieser Name begleitete ihn fortan nicht nur als österreichischer Profifußballer, sondern blieb ihm auch in seiner zweiten Karriere als Footballer der amerikanischen Profiliga NFL erhalten. Aber das ist eine andere Geschichte.
Geboren in Petronell-Carnuntum, einem auf dem Weg zwischen Wien und Bratislava gelegenen Weinort, kam der früh verwaiste Toni Fritsch schon mit zwölf Jahren in Rapid Wiens Jugendmannschaft. Hütteldorf wurde für den Kfz-Lehrling zum neuen Zuhause. Zu Mittag und oft auch über Nacht schlief er auf dem Tisch in der Massagekammer. Der Platzmeister fütterte den ewig hungrigen Zwirn mit Wurstsemmeln. Diese harte Zeit prägte seine Einstellung zum Sport.
„Hos’, was soll i jetzt mochen?“
1964 ließ ihn Trainer „Bimbo“ Binder erstmals im Profiteam des österreichischen Rekordmeisters spielen, und Toni Fritsch wurde noch im gleichen Jahr mit Rapid Meister. Nach nur 14 Ligaspielen debütierte er 1965 in der Nationalmannschaft, in Wembley gegen England, das im Jahr darauf gegen Deutschland Weltmeister wurde. Die Schilderung des Siegtores durch seinen Mitspieler Franz Hasil trug zur Legendenbildung bei. Fritsch hatte dem gefürchteten Nobby Stiles im Mittelfeld den Ball abgejagt und lief in Richtung des englischen Strafraums. Dabei schrie er aufgeregt zum mitlaufenden Hasil: „Hos’, was soll i jetzt mochen?“ Hasil schrie zurück: „Toni, bitte schiaß, damit ma zum Verschnaufen kumma“, und hoffte, dass Fritsch den Ball irgendwohin auf die Ränge dreschen würde. Um so mehr war er überrascht, dass Fritsch genau unter die Latte traf, zum Triumph in Wembley.
Toni Fritsch zog die Fans in Scharen nach Hütteldorf, lange vor den Zeiten von Krankl, Weber oder Panenka. Er war ein Stürmer in der Erblinie der Körner-Brüder oder eines „Bimbo“ Binder, und die Rapidanhänger liebten ihn wegen seiner Umgänglichkeit und Bescheidenheit. Sie mochten aber auch seine einfache und direkte Art, Fußball zu spielen. „Heute sagt man, der Teamspieler ist mit 23 Jahren zu jung; ich war 20, es is’ auch gegangen. Hat gehen müssen. Nicht viel gedacht, Fußball g’spielt und bei jeder Gelegenheit auf den Ball draufg’haut.“ Aber nach neun Länderspielen und 123 Meisterschaftsspielen für Rapid endete seine Fußballkarriere auf unerwartete Weise, und das ist die andere Geschichte.
Tom Landry, legendärer Coach des Footballteams Dallas Cowboys, weilte 1971 in Europa, um nach talentierten Fußballern Ausschau zu halten, die sich als Spezialisten für sogenannte Freekicks eigneten und bereit waren, über den großen Teich zu gehen. Ein Agent vermittelte den Kontakt zum kräftigen und schussgewaltigen „Wembley-Toni“, der die neue sportliche Perspektive aus seiner Sicht später so schilderte: „Ich hatte vorher weder einen Football noch ein Footballspiel gesehen. Aber ich habe den angebotenen Vertrag, den ich kaum lesen konnte, unterschrieben. Es war vielleicht der beste Kontrakt, den ich jemals gemacht habe. Und er war der Beginn eines neuen Lebens für mich.“
Fortan spielte Fritsch vierzehn Jahre lang sehr erfolgreich als Profi in der National Football League NFL und gewann 1972 mit seinen „Cowboys“ den begehrten Super Bowl, als erster Europäer überhaupt. Plötzlich war der „Wembley-Toni“ nicht nur ein unvergessenes Idol der österreichischen Fußballfans, sondern zusätzlich ein Held der jungen Generation von Fans des American Football in der Alpenrepublik. Und er löste eine unerwartete Nachfrage nach österreichischen Freekickern durch die NFL-Teams aus. Anton „Toni“ Linhart wechselte 1972 vom Wiener SK zu den Baltimore Colts, und Raymond „Ray“ Wersching aus Mondsee landete 1977 bei den San Francisco 49ers, mit denen er 1982 und 1985 den Super Bowl gewann.
Toni Fritsch aus Petronell-Carnuntum hatte sich im härtesten Rasensport der Welt durchgesetzt. Die amerikanische Professionalität im Profisport machte er auch öffentlich zum Gradmesser für einen erfolgreichen österreichischen Fußball. „In Amerika gibt es 10.000 Krankls, und nur einer kann spielen. Du wirst trainiert auf psychische und physische Härte. Wir Österreicher sind gut zwischen Bodensee und Neusiedlersee. Sobald wir einen Schritt hinaus machen, sind wir nicht konkurrenzfähig.“ Im Nachruf auf den Tod von Toni Fritsch sagte sein früherer Mitstreiter Toni Linhart: „Wir waren die ersten zwei Österreicher, die es in Amerika probiert haben.“ Sie hatten sich durchgesetzt. Bald folgte Arnold Schwarzenegger.
Toni Fritsch wurde jenseits des Großen Teichs sesshaft, aber häufig kam er in „sein Wien“ zu Besuch und hielt Kontakt zu den engsten Freunden. Die neue Heimat jedoch war Houston, und Fritsch verkehrte im Umfeld von George Foreman, Muhammad Ali oder des US-Präsidenten George Bush senior, der einmal sagte: „Everybody knows Toni Fritsch.“
Das Schicksal aber hatte für sein bewegtes Leben eine weitere Zäsur vorgesehen. Er verursachte alkoholisiert einen Autounfall, durch den seine Beifahrerin starb. Die Schadenersatzzahlungen kosteten ihn viel Geld. Aber der „Wembley-Toni“ stand auch diese Zeit durch. Die Liga-Pension und ein paar ersparte Dollars ließen ihn mobil bleiben zwischen Houston und Hütteldorf.
Am 13. September 2005, einen Tag vor dem Champions-League-Spiel seiner Rapidler gegen Bayern München, starb er beim Verlassen eines Friseursalons in Wien auf der Straße an plötzlichem Herzversagen. In der Tasche steckte das Ticket für das Match am nächsten Tag.
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