Bernhard „Berni“ Klodt
Die Sehnsucht nach der Schale
„Ich habe einen Narren an ihm gefressen“, sagte einst Sepp Herberger über Berni Klodts Konkurrenten um die Position des Rechtsaußen der deutschen Nationalmannschaft, die 1954 mit geringen Erwartungen zur WM in die Schweiz fuhr und dann völlig unerwartet Weltmeister wurde. Die Spieler kehrten als „Helden von Bern“ in die Heimat zurück. Klodt aber kam nicht als Held zurück. Weil der Bundestrainer so vernarrt in seinen anderen Rechtsaußen, in Helmut Rahn von Rot-Weiß Essen, war, musste Berni Klodt ihm im Viertelfinale gegen Jugoslawien (2:0) weichen, obwohl er zunächst in den Vorrundenspielen gegen die Türkei (4:1 und 7:2) erste Wahl gewesen war. Aber Herbergers Taktik war gegen die starken „Jugos“ auf Konter angelegt, und der bessere Kombinationsspieler Klodt passte in dieses Konzept weniger gut als der stürmische und durchsetzungsfähigere Helmut Rahn. Herbergers Entscheidung erwies sich als richtig: Rahn rechtfertigte beeindruckend seine Nominierung und spielte folglich auch im Halbfinale und Finale. Zurück blieb ein niedergeschlagener Berni Klodt, der sich fast bis zuletzt Hoffnungen auf die Final-Teilnahme gemacht hatte, aber drei Stunden vor dem Anpfiff von Herberger informiert wurde, dass nicht er, sondern Rahn spielen werde.
Vier Jahre später, bei der WM 1958 in Schweden, war der Schalker wieder dabei – und es erging ihm erneut wie in der Schweiz. In den beiden Vorrundenspielen gegen die Tschechoslowakei (2:2) und Nordirland (2:2) durfte er spielen, doch im Viertelfinale gegen Jugoslawien ersetzte ihn Herberger durch Aki Schmidt von Borussia Dortmund, und er war wieder draußen. Trotzdem konnte er mit der Bilanz des Jahres 1958 hoch zufrieden sein. Denn drei Wochen vor der WM, am 18. Mai 1958, durfte er in Hannover nach dem 3:0 gegen den HSV als Kapitän von Schalke 04 als bisher letzter „Knappe“ das größte Objekt Schalker Begierde, die Meister-Schale, entgegennehmen und den enthusiastischen Fans präsentieren. Die Heimkehr erinnerte an die Zeiten von Fritz Szepan und Ernst Kuzorra in den 30er Jahren. Vor der Kulisse der damals noch rauchenden Schlote der Zeche Graf Bismarck säumten über 200.000 Menschen mit Tränen in den Augen den Weg ihrer Mannschaft und feierten auf dem Schalker Markt in unbändiger Freude ein langes Fest in Blau und Weiß.
Berni Klodt wuchs als jüngster von fünf Brüdern im Gelsenkirchener Stadtteil Bismarck auf. Sein Bruder Hans, zwölf Jahre älter als Berni, hatte dem Namen Klodt mit 17 Länderspielen als Torhüter schon nationalen Glanz verliehen, ehe der junge Berni am 14. März 1943 unter den Fittichen von Fritz Szepan und Ernst Kuzorra erstmals für Schalke 04 auflief, in einer Partie gegen den VfL Bochum (10:1). Es war eines der wenigen Spiele, die er gemeinsam mit seinem Bruder bestritt, denn der Krieg erlaubte kaum noch Spiele unter normalen Bedingungen.
Nach Kriegsende konnte Hans Klodt aufgrund einer Kriegsverletzung nicht mehr an die alte Klasse anknüpfen und wurde 1947 von Heinrich Kwiatkowski abgelöst. Kurz danach wechselte Berni überraschend zum Reviernachbarn STV Horst-Emscher. Auslöser war, so die Legende, wohl ein verbaler Rempler des knorrigen Ernst Kuzorra, der Klodt wegen angeblicher Wehleidigkeit und fehlender Mannhaftigkeit „Oma“ geschimpft hatte. Das konnte ein „Knappe“ nicht auf sich sitzen lassen, auch wenn seine spätere Karriere zeigte, dass Kuzorra so unrecht nicht hatte. Klodt haderte häufig über Fouls und Ungerechtigkeiten und offenbarte damit einen Wesenszug, der in den harten Nachkriegsjahren von Trainern und Mitspielern ungern gesehen wurde. Das wird sicherlich auch 1954 bei Herbergers Entscheidung für Helmut Rahn eine Rolle gespielt haben, als nicht virtuoses Kombinationsspiel, sondern rustikale Durchsetzungsfähigkeit gefordert war.
Nach zwei Jahren Horst-Emscher hieß es dann wieder: „Blau und Weiß, wie lieb ich dich“, und Berni Klodt kehrte in den Schoß der Schalke-Familie zurück. Es war eine gute Entscheidung, denn unter Trainer Fritz Szepan wurde Schalke 04 in der Saison 1950/51 Meister der Oberliga West und verpasste nur knapp das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft gegen den damals äußerst starken 1. FC Kaiserslautern. Noch wichtiger für Klodts Karriere war, dass er mit seinem Mannschaftskameraden Herbert Burdenski von Sepp Herberger zum ersten Länderspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft nach dem Zweiten Weltkrieg am 22.11.1950 gegen die Schweiz in Stuttgart eingeladen wurde. Die Augen ganz Fußball-Europas richteten sich auf den ersten Auftritt der Deutschen nach Jahren der Ächtung. Frei von nationalem Pathos, löste die Mannschaft diese sportliche und politische Aufgabe sehr gut, mit dem Länderspiel- Neuling Berni Klodt und dem erfahrenen Herbert Burdenski, der mit seinem Tor den 1:0-Sieg perfekt machte.
Das größte Objekt Schalker Begierde
Eine weitere Zäsur für Klodt war das Jahr 1954. Die WM verlief zwar recht enttäuschend für ihn, aber mit Edi Frühwirth, der gerade Österreich zum dritten Platz bei der WM geführt hatte, kam ein international renommierter Coach zu Schalke 04. Beide, Trainer und Kapitän, führten Schalke an die nationale Spitze. 1958 ernteten sie die Früchte ihrer beharrlichen Aufbauarbeit. Mit dem 3:0 gegen den Hamburger SV und den jungen Uwe Seeler gelang ihnen das, worauf die königsblaue Fangemeinde 16 Jahre lang gewartet hatte: Schalke war endlich wieder Deutscher Meister. Niemand ahnte, dass damit zum letzten Mal für viele Jahrzehnte die Meister-Schale am Schalker Markt präsentiert wurde.
Mit 37 Jahren beendete Berni Klodt seine Fußballkarriere und begann als Gastronom am Schalker Markt. Nach ein paar Jahren wagte er als Verkaufs-Mitarbeiter der Essener Stern-Brauerei einen beruflichen Neuanfang. Das fiel ihm leicht, denn er war zu einer Legende in Gelsenkirchen geworden, und welcher Kneipenbesitzer hätte bei der Fußballbegeisterung dieser Region das Herz gehabt, dem Schalker Meister-Kapitän die Tür zu weisen, außer in dem Fall, dass der Gastronom ein Anhänger der Dortmunder Borussen war.
1990 musste sich Berni Klodt einer Bypass-Operation unterziehen, die zu Komplikationen führte und einen Schlaganfall mit rechtsseitiger Lähmung zur Folge hatte. Der schnelle Flügelstürmer war fortan an den Rollstuhl gefesselt. Später zog er nach Grainau am Fuße der Zugspitze, wo er 1996 verstarb. Seine letzte Ruhestätte wurde nicht das Ruhrgebiet, sondern Garmisch. Unweit des Grabes des Komponisten Richard Strauss blickt er auf die imposante Kulisse von Alpspitze und Zugspitze.
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