Gerhard Hanappi
Der Studierte
„In Wien musst’ erst sterben, dass dich hochleben lassen. Aber dann lebst lang!“, sagte einst der große Wiener Kabarettist Helmut Qualtinger.
Genau so erging es Gerhard Hanappi, dem Weltklassespieler Österreichs aus den 50er und 60er Jahren. Wenn der aus St. Pölten, Linz oder Salzburg kommende Autofahrer Wien erreicht, grüßen ihn genau in dem Moment, wenn er die Autobahn verlässt und auf der Wientalstraße Richtung Zentrum fährt, die Flutlichtmasten des Gerhard-Hanappi-Stadions, seit dem 10. Mai 1977 die Heimstatt von Rapid Wien und von den Fans auch „Sankt Hanappi“ genannt. Der Architekt dieser Arena war just jener Hanappi. Was lag für die Vereinsführung näher, nach dem frühen Tod dieses genialen, beliebten Fußballers der ursprünglich „Weststadion“ genannten neuen Spielstätte im Wiener Stadtteil Hütteldorf den Namen seines Schöpfers zu geben? Denn neben der architektonischen Leistung erfüllte Hanappi auch die höchsten fußballerischen Erwartungen der Rapidanhänger, weil er mit den Grün-Weißen sieben österreichische Meistertitel gewann.
Gerhard Hanappi starb mit nur 51 Jahren an Ohrspeicheldrüsenkrebs, einer sehr seltenen Erkrankung, die bereits 1954, als er erst 25 Jahre alt war, diagnostiziert wurde, dem Jahr, als er für Österreich bei der Fußballweltmeisterschaft in der Schweiz auflief. Doch das schien ihn nicht zu beeinträchtigen, sein Leben schien nichtsdestoweniger auf der Sonnenseite zu verlaufen. „Gschropp“, wie der kleingewachsene Hanappi von Kind auf genannt wurde, wuchs zwar als Halbwaise in bescheidenen Verhältnissen im Wiener Bezirk Meidling auf. Aber er war vielseitig begabt, studierte nach der Matura Architektur an der Technischen Universität und schloss das Studium 1957 erfolgreich ab, während er zugleich seine Traumkarriere als Fußballer weiterverfolgte. 1962 eröffnete er sein eigenes Architekturbüro und konzentrierte sich nach seinem Abschied vom Leistungssport auf den Sportstättenbau.
Sein fußballerischer Weg begann bei Wacker Wien. Mit diesem Arbeiterverein, der mittlerweile wie mancher andere große Club der österreichischen Hauptstadt in den Niederungen tiefklassiger Ligen verschwunden ist (andere haben sich gar aufgelöst), wurde Hanappi 1947 österreichischer Meister und Pokalsieger. Er fiel durch exzellente Technik, Laufstärke, Kampfkraft und Spielmacherqualitäten auf. Damit passte er genau in das Konzept von „Bimbo“ Binder, dem Sektionsleiter von Rapid Wien, der mit dem Trainer Hans Pesser dabei war, eine der besten Rapidmannschaften aller Zeiten rund um Zeman, Happel, Merkel, Probst, Dienst und die Brüder Körner I und Körner II aufzubauen. Hanappi war wechselwillig, weil er die Perspektiven dieser Rapidmannschaft sah, aber die Funktionäre von Wacker waren nicht bereit, ihren besten Spieler an den Lokalrivalen abzugeben, trotz aller Solidarität, die sich die beiden Wiener Arbeitervereine und Brüder im Geiste schuldig waren. Die „Affäre Hanappi“ schlug die fußballinteressierten Wiener, deren Stadt mit dem kurz vorher gedrehten Filmepos „Der dritte Mann“ von Orson Welles ein Denkmal gesetzt worden war und weltweite Aufmerksamkeit erntete, kurzfristig in ihren Bann. Die Abwerbungsversuche von „Bimbo“ Binder, der gerade als Idol Rapids seine Karriere als „Bomber der Nation“ beendet hatte, mündeten schließlich darin, dass Rapid seinen Wunschspieler längere Zeit vor den Wacker-Funktionären versteckte, um deren Nachstellungen zu verhindern. Wacker war empört, zeigte Rapid beim Verband an und schwor ewige Feindschaft. Die hält im Fußball bekanntlich selten lange, und das Wort „Orschloch“ ist dann ganz gut auszuhalten, wenn der Preis dafür in Schilling und einem Freundschaftsspiel entrichtet wird.
Am 15. November 1950 trug Hanappi beim Spiel Rapid Wien gegen Athletico Mineiro aus Brasilien erstmals das grün-weiße Leiberl. Binder und Pesser konnten das Spiel entspannt verfolgen, sie hatten den richtigen Spieler verpflichtet. „Heuer werden wir Meister“, sagte Pesser, als beide in die Kabine gingen, in der es aufgrund des 3:0-Sieges hoch herging. „Mir macht nur eins Sorge, der Hanappi, unbedingt will der studieren, Architektur oder so was. Er soll lieber trainieren, er ist der Beste von allen.“
Hanappi aber studierte und spielte, 333-mal für Rapid Wien, 93-mal für die Nationalmannschaft Österreichs. Er lebte den Rapid-Geist, die Zurücknahme egoistischer Attitüde zugunsten eines gemeinsamen Wollens, obwohl die Mannschaft nur so von Individualisten strotzte.
„Die spezifiken Kontraattacks“
Ein entscheidender Impuls für die jahrelange Dominanz von Rapid Wien war eine Südamerikatournee 1950, auf der es viele Niederlagen gesetzt hatte. Das Gespann Binder/Pesser wurde mit einem Spielsystem der Brasilianer konfrontiert, das man in Europa, sicherlich bedingt durch die langen Kriegsjahre, nicht kannte: ein flexibles System, in dem alle Spieler mit und ohne Ball zu jeder Zeit ständig in Bewegung sind. Die deckenden Läufer und Verteidiger mussten sich, wenn die Mannschaft in Ballbesitz kam, sofort in den Angriff einschalten, die „spezifiken Kontraattacks“, wie sie der damalige Ausputzer Ernst Happel bezeichnete. Rapid zeigte sich lernfähig, spielte brasilianisch, und Hanappi war das Hirn dieser mit Ausnahmekönnern besetzten Mannschaft. Giovanni Trappatoni antwortete einmal auf die Frage nach seinen Vorbildern: „Ja, die gibt es. Und sie kommen aus Österreich. Gerhard Hanappi, der große Mittelfeldspieler, und Ernst Happel, damals der beste Verteidiger der Welt.“ Das überraschte angesichts der Fülle defensiver Stars in seiner italienischen Heimat.
Rapid Wien dominierte zusammen mit der ebenfalls spielstarken Austria die österreichische Liga, was schnell zu Arroganz führt. „Nach Ried wären wir gar net hing’fahren, außer zum Milch holen“, kommentierte Max Merkel die Ausnahmestellung der Grün-Weißen. Diese Überheblichkeit wurde vielfach als Grund für die schwere Niederlage Österreichs im Halbfinale der WM 1954 in der Schweiz angeführt. Der Turnierverlauf bescherte dem österreichischen Team das scheinbar schwache Deutschland als vermeintlichen Traumgegner, nicht das als wesentlich stärker eingeschätzte Uruguay. Die mit sechs Rapidspielern (Zeman, Hanappi, Happel, Probst, Körner I und Körner II) angetretene ÖFB-Elf kam mit 1:6 unter die Räder, und der Schriftsteller Friedrich Torberg schrieb: „Das ist das Ende der Poesie im Fußball.“
So schlimm war es dann doch nicht, Hanappi führte Österreich im kleinen Finale gegen Uruguay (3:1) noch zum dritten Platz. Aber der Zauber dieser großen Mannschaft verflüchtigte sich allmählich. Nur mit einer gewaltigen Kraftanstrengung qualifizierte sich Österreich noch für die WM 1958 in Schweden. Hanappi, Happel und Körner I waren wieder dabei, aber bereits nach der Vorrunde war Schluss. Das Tor von Alfred Körner zum 2:1 gegen England (Endstand 2:2) war für zwanzig lange Jahre das letzte WM-Tor Österreichs.
In der österreichischen Liga blieb alles beim Alten, Hanappi und Rapid Wien blieben in der Erfolgsspur, und der junge Architekt, mittlerweile gut verankert in der Wiener Gesellschaft, arbeitete zielstrebig am Aufbau seiner zweiten Karriere, in der er sich mit dem Bau des Weststadions sein eigenes Denkmal setzte, in dem er leider nur noch wenige Spiele seines Clubs sehen konnte.
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