AC Torino

Die Tragödie von Superga

Bild: Der AC- Torino (il Granata) in der Saison 1948/1949; Stehend v.l. Castigliano, Aldo Ballarin, Rigamonti, Loik, Maroso, Mazzola; Kniend v.l. Bacigalupo, Menti, Ossola, Martelli, Gabetto

Gegründet am 3. Dezember 1906
Italienischer Meister 1928, 1943, 1946, 1947, 1948, 1949, 1976
Italienischer Pokalsieger: 1936, 1943, 1968, 1971, 1993
Spielstätte: Stadio Olimpico Grande Torino;
Cimitero Monumentale di Torino, Corso Novara 135
Erbstein, Ernö „Egri“ (Technischer Direktor):
Geboren am 13.5.1898 in Nagyvarad/Ungarn
Grabstätte: Cimitero Monumentale di Torino
Lievesley, Leslie (Trainer)
Geboren am 23.6.1911 in Staveley (England)
Grabstätte. St. Michaels Churchyard, Rossington, South Yorkshire /England
Bacigalupo, Valerio (Torwart); 5 Länderspiele
Geboren am 12.3.1924 in Vado Ligure (SV)
Grabstätte: Cimitero di Bossarino a Vado Ligure
Ballarin, Aldo (Verteidiger); 9 Länderspiele.
Geboren am 23.9.1923 in Chioggia
Grabstätte: Cimitero Communale di Chioggia (VE)
Ballarin, Dino (Torwart)
Geboren am 23.9.1923 in Chioggia.
Grabstätte: Cimitero Communale di Chioggia (Veneto)
Maroso, Virgilio (Verteidiger); 7 Länderspiele
Geboren am 26.5.1925 in Crosara di Marostica
Grabstätte: Cimitero Monumentale di Torino
Operto, Piero (Verteidiger):
Geboren am 20.12.1926 in Torino
Grabstätten: Cimitero Monumentale di Torino
Castigliano, Eusebio (Mittelfeld); 7 Länderspiele
Geboren am 9.2.1921 in Torino
Grabstätte: Cimitero di Carmagnola (Torino)
Rigamonti, Mario (Mittelfeld); 3 Länderspiele
Geboren am 17.12.1922 in Capriolo.
Grabstätte: Cimitero Communale di Capriolo (Brescia)
Grezar Guiseppe (Mittelfeld). 8 Länderspiele
Geboren am 25.11.1918 in Trieste.
Grabstätte: Cimitero Monumentale di SantÀnna, Trieste
Fadini, Rubens (Mittelfeld)
Geboren am 1.6.1927 in Jolanda di Savoia
Grabstätte: Cimitero di Arcore (Lombardia)
Loik, Ezio (Mittelfeld): 9 Länderspiele
Geboren am 26.9.1919 in Fiume
Grabstätte: Cimitero Monumentale di Torino
Martelli, Danilo (Mittelfeld).
Geboren am 27.5.1923 in Castellucchio
Grabstätte: Cimitero Communle di Castellucchio (MN)
Gabetto, Guglielmo (Stürmer): 6 Länderspiele
Geboren am 24.2.1916 in Torino.
Grabstätte: Cimitero Monumentale di Torino
Mazzola, Valentino. Mittelfeld/Stürmer; 12 Länderspiele
Geboren am 26.1.1919 in Cassana d’Àdda
Grabstätte: Cimitero Monumentale di Torino
Menti, Romeo (Stürmer); 7 Länderspiele
Geboren am 5.9.1919 in Vicenza.
Grabstätte: Cimitero Monumentale della Misericordia, Antella di Bagno a Ripoli (Firenze)
Ossola, Franco (Stürmer)
Geboren am 23.8.1921 in Varese
Grabstätte: Cimitero Monumentale di Torino
Gravi, Roger (Stürmer)
Geboren am 26.4.1922 in Claut (Friuli)
Grabstätte: Cimetiere de Saint-Ouen (Paris)
Schubert Giulio (Julius) (Mittelfeld):2 Länderspiele für Tschechoslowakei
Geboren am12.12.1922 in Budapest (Ungarn)
Grabstätte: Cimitero Monumentale di Torino
Bongiorni, Emile (Stürmer. 5 Länderspiele für Frankreich
Geboren am 19.3.1921 in Boulogne-Billancourt (Frankreich)
Grabstätte: Cimetiere de Fontenay-sous Bois (Val de Marne)

Einen Sakralbau verflucht man nicht. Und wenn ein solcher Fluch am Abend des 4. Mai 1949 von einem Fan des AC-Torino ausgestoßen worden wäre, hätte ihm der Fußballgott wohl verziehen. Denn um 17.05 Uhr zerschellte ein Flugzeug des Typs FIAT G 212 an der Basilika von Superga, einem Barockjuwel, oberhalb Turins erbaut. Und mit ihm starb „Il Grande Torino“, die „Unbesiegbaren“.

Der Nebel gehört zu Turin wie zur Bay von San Francisco. Der Po verpackt die ehemalige Hauptstadt des Königreiches Piemont und Savoyen in Watte, die am Bergmassiv von Superga hoch wabert und die Basilika unsichtbar macht.

Bild: Die Basilika von Superga im Nebel
Bild: Cimitero Monumentale di Torino und die Basilika von Superga

Wenn dann das Instrumenten-Cockpit dem Piloten 2.000 Höhenmeter anzeigt und der ohne Radar den Landeanflug auf den unterhalb der Superga gelegenen Flughafen von Turin einleitet, kann das fatale Folgen haben, wenn die Angaben im Leitsystem fehlerhaft sind. Flugkapitän „Gigi“ Meroni verließ sich auf die Instrumententafel und seine Ortskenntnissse. Die Maschine rauschte im verfrühten Sinkflug in die Rückseite der Basilika auf 700 m Höhe und zerbrach.

Bild: Die zerschellte Maschine an der Rückseite der Basilika Superga
Bild: Stelle des Unglücks heute an der Rückseite der Basilika Superga

Und mit ihr die fußballerischen Juwelen Italiens nach der faschistischen Mussolini-Ära und den schlimmen, zerstörerischen Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs im „Stiefel“ Europas. Ein paar Jahre später wurde dieses zerrissene Land aber wieder von Zukunftshoffnungen inspiriert, wirtschaftlich und sportlich. Im Zentrum dieser positiven Perspektiven stand vor allem die piemontesische Hauptstadt Turin, dank FIAT und dem AC-Torino.

Il Grande Torino, das legendäre Team, war vier Mal hintereinander italienischer Fußballmeister geworden, seit 93 Heimspielen unbesiegt und hatte sich vier Spiele vor Saisonende bereits die „Scudetta“, die Meisterschaft der Saison 1948/1949 gesichert. An diesem Mittwoch, dem Todestag des AC-Torino, verfiel die italienische Nation in eine tiefe Trauer, denn der AC repräsentierte auch die italienische National-Mannschaft. Als die Nachricht aus Turin eintraf, beendete das Parlament in Rom sofort seine Sitzung.

Das Drama passierte auf dem Rückflug des AC-Torino nach einem Freundschaftsspiel bei Benfica Lissabon. Alle 31 Passagiere starben, darunter 18 Spieler, von denen zehn Nationalspieler Italiens waren und damit das Gerüst der „Squadra Azzurra“ für die bevorstehende WM 1950 in Brasilien bildeten. Zwei Jahre zuvor, am 11.Mai 1947 beim Länderspiel Italien gegen Ungarn (3:2), kamen alle Nationalspieler vom AC-Torino, bis auf den Torwart Lucidio Sentimenti, der bei Juventus Turin spielte, das damals nur ein kleiner Lokalrivale war.

Bild: Trauerzug in Turin am 06. Mai 1949

Den Trauerzug durch die Straßen Turins zwei Tage nach dem Absturz säumten 500.000 Menschen. Auch viele Juve-Fans begleiteten ihn in ihren Juve-Trikots. Italiens Fußballverband erklärte an diesem Tag, dem 6. Mai 1949, post mortem den AC-Torino zum Meister 1949. Verbandspräsident Ottorino Barassi hatte zuvor auf der Superga mit zitternden Händen den Meisterpokal gen Himmel gehoben. Bei den vier noch ausstehenden Meisterschaftsspielen trat die Juniorenmannschaft an. Aus Respekt boten auch die gegnerischen Mannschaften ihre Nachwuchsteams auf. Beim letzten Spiel im Filadelfia-Stadion sahen 30.000 Toro-Fans dem Spiel schweigend zu.

Neben der menschlichen Tragödie war das Unglück eine schaurige Bürde für den italienischen Fußball und seine Tifosi. Eine neu gebildete“ La Nationale“ reiste 1950 aus Flugangst mit dem Schiff zur WM nach Brasilien. An Bord wurde zwar trainiert, aber irgendwann gingen die Bälle aus und trieben nun im Atlantik. Das war keine ideale Vorbereitung und Italien schied gleich in der Vorrunde aus

Bild: Gedenkstätte AC Torino auf dem Cimitero Monumentale in Turin

Bild: Gedenkstätte AC-Torino auf dem Cimitero Monumentale in Turin

Flugzeugabstürze mit bekannten Sportlern an Bord gehören zur Geschichte des internationalen Profisports, auch des Fußballs. Bespielhaft sind der Absturz der Mannschaft von Manchester United am 6. Februar 1958 in München (siehe Einzelporträt „The Busby Babes“) oder der Absturz eines bolivianischen Flugzeugs am 28. November 2016 mit dem brasilianischen Profiteam ACF Chapecoense an Bord.

Die Geschichten rund um Flugzeugabstürze sind aber auch geprägt von Einzelschicksalen, also Menschen, die deshalb überlebt haben, weil sie den Flug verpassten, krank wurden oder einen anderen Grund hatten, der ihren Mitflug verhinderte. Bei der Tragödie von Superga, dem Supergau, betraf es drei Männer.

  1. Ladislaus Kubala. Der ungarische Nationalspieler von Vasas Budapest trainierte 1949 nach seiner Flucht bereits beim AC Turin, war aber für die Seria A durch die FIFA gesperrt aufgrund einer Intervention des ungarischen Fußballverbandes (siehe Einzelporträt). Kubala durfte aber bei Freundschaftsspielen mitwirken. Am Vorabend der Flugreise nach Lissabon erkrankte sein Sohn, weshalb er die Reise absagte. Nach der Tragödie gab es keinen AC-Torino mehr, der wettbewerbsfähig war. Kubala wechselte zum FC Barcelona und wurde dort ein Weltstar. Wie hätte sich sein Gast – Club mit ihm als Stammspieler ohne diesen Absturz entwickelt. Womöglich hätte Juve nie diese vorherrschende Stellung in Turin und im italienischen Fußball erreicht.
  2. Vittorio Pozzo, der den AC Turin von 1912 bis 1922 trainiert hatte und Italien als Trainer zu den Weltmeistertiteln 1934 und 1938 führte arbeitete 1949 noch als Berater des AC-Torino und als Sport-Journalist für „la Stampa“, eine der führenden Zeitungen Italiens mit Sitz in Turin. Normalerweise wäre er nach Lissabon mitgeflogen, aber die Maschine hatte nicht genügend Sitzplatzkapazität. Am Tag des Unglücks kam er sofort zum Absturzort, um mitzuhelfen, die ihm sehr vertrauten Spieler am Unglücksort zu identifizieren. Denn bis 1948 hatte er noch die italienische Nationalmannschaft, quasi den AC-Torino, trainiert.
  3. Sauro Toma, Verteidiger und Nationalspieler, musste die Reise wegen einer Knieverletzung absagen. Das rettete ihm das Leben, aber es verblieb eine Melancholie, die ihn zeitlebens begleitete. Der FC-Torino, wie der Club nach der Insolvenz 2005 jetzt heißt, veröffentlichte die Todesnachricht am 10. April 2018 mit den wunderbaren Worten: „Ciao Sauro, du Letzter der „Unbesiegbaren“, jetzt triffst du deine Teamkollegen im Himmel“. Die hatten ihn rund 69 Jahre vermisst. „Il grande Torino“ war wieder vereint.

Der Stier (il Toro) im Wappen der Stadt gab dem Club den Namen. Die granatroten Vereinsfarben (il Granata) sind eine Erinnerung an die Savoyer, die unter der Führung von Prinz Eugen die Stadt Turin 1706 von den Franzosen befreiten. Der Überbringer der Siegesbotschaft hatte sich wohl ein blutverschmiertes Handtuch um den verletzten Arm gewickelt. Dieses Rot unterscheidet sich schon sehr von den Zebrastreifen der „Alten Dame“ Juventus Turin. Übrigens hat es Turin mit Tüchern. Das Turiner Grabtuch, aufbewahrt im Turiner Dom und von vielen Katholiken verehrt, soll das Tuch sein, in dem Jesus von Nazareth nach der Kreuzigung begraben wurde. Die Echtheitsuntersuchungen ziehen seit Jahrhunderten die Forscher in ihren Bann.

Während Manchester United, dessen Trainer Matt Busby überlebt hatte und der nach 1958 rund um den auch überlebenden Bobby Charlton ein neues Team aufbaute, das 1968 den Europapokal der Landesmeister mit neuen „Busby Babes “gewann, wurde aus dem Toro nie wieder ein „Grande Torino“. Es reichte nur noch zu einem Meistertitel 1976. Dennoch blieb der erschütterte Verein der Club der Turiner, des Mitleidens und der Tränen. Juventus Turin ist zwar ein national äußerst beliebter Verein, aber in Turin bleibt es der AC oder jetzt der FC trotz aller Skandale, Pleiten, Bestechungen, Auf -und Abstiege.

Als hätte die Katastrophe von 1949 nicht gereicht, grätschte der Fußballgott erneut in die Geschicke des AC-Torino, der sich in den 60er Jahren langsam wieder von dem gewaltigen Aderlass erholt hatte. „Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ew´ger Bund zu flechten. Und das Unglück schreitet schnell.“ (Friedrich von Schiller). Der damalige Superstar der Toros und des italienischen Fußballs, Gigi Meroni (nicht verwandt mit dem Piloten), wurde am Abend des 15. Oktober 1967 von einem Auto erfasst und verstarb mit 24 Jahren. Wieder legte sich der Nebel der Massentrauer über die Metropole am Po. Es ist an Tragik kaum zu überbieten, dass der 19jährige Unfallfahrer Attilio Romero ein glühender Fan Merlonis war und sich wie dieser kleidete inclusive gleicher Frisur. Er blieb straflos. Im Jahre 2000 wurde Romero Präsident des AC Turin und führte den Club 2005 in die Pleite und den Abstieg. „Du hast den Toro ein zweites Mal getötet“ urteilten die Fans unversöhnlich.

Aber der Fußballgott beschloss eines Tages: „Genug ist genug“! Seit dem Wiederaufstieg in die Seria A zur Saison 2005/06 schwimmt der FC Torino dank eines professionellen Managements wieder in ruhigem Fahrwasser, so wie der Po träge durch die barocke Stadt unweit der Alpen dahinfließt.

Bild: Valentino Mazzola und Sohn Sandro

Valentino Mazzola, der damalige Liebling des italienischen Fußballs, ließ 1949 seinen traumatisierten sechsjährigen Sohn Sandro zurück. Der hätte sicherlich später beim AC-Torino gespielt, anstatt eine Weltkarriere bei Inter Mailand unter Trainer Helenio Herrera und in der italienischen Nationalmannschaft zu machen. Einen Verein kann man sich nicht aussuchen, er wird einem gegeben. Das wäre „Il Toro“ gewesen. Aber Sandro Mazzola wollte nie für den AC spielen, weil er bei den Heimspielen immer die Basilika der Superga gesehen hätte. Und Jose Joao Altafini, brasilianischer und italienischer Staatsbürger und einer der erfolgreichsten Torschützen der Seria A, spielte nicht unter seinem brasilianischen Namen Mazzola für den AC Mailand, Juventus Turin und die italienische Nationalmannschaft, aus Respekt vor dem großen Namen.

 Am 25. Mai 2019, zum 100. Geburtstag des großen Kapitäns Valentino Mazzola, wurde die alte Heimstatt des AC Turin, das Stadion Filadelfia (von 1926 bis 1963) nach dem Wiederaufbau feierlich eröffnet. Dort feierten die „Toros“ einst ihre größten Erfolge. Valentino Mazzola, der elf Jahre alte Urenkel des Kapitäns des AC -Torino und der „Squadra Azzurra“, lief begleitet von seinem Großvater Sandro im granatroten Toro-Trikot in das Stadion ein. Es flossen Tränen.

Dieser von menschlichen Schicksalen geprägte Verein ist geschützt durch die Tragik seiner Geschichte. Der Stier lebt noch. Der italienische Journalist Massimo Gramellini schrieb einst: „Der FC Torino ist keine normale Fußballmannschaft, sondern vielmehr eine Idee voller Hoffnung und Wut. Er verkörpert die Idee, dass du zwar am Boden bist, aber wieder ganz nach oben kommen wirst, früher oder später“.

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