Waleri Lobanowski

Das Gesicht des Kalten Krieges

Biografie
Geboren am: 6.1.1939 in Kiew
Gestorben am: 13.5.2002 in Kiew
Grabstätte: Kiew
Friedhof Bajkowe
Ulica Bajkowaja 6
Stationen der Karriere als Spieler
Position: Linksaußen
Vereine: Dynamo Kiew (1958-1964)
Tschernomorez Odessa (1965-1966)
Schachtjor Donezk (1967-1968)
2 Länderspiele für die UdSSR (1960-1961); 1 Tor
Stationen der Karriere als Trainer
Vereine: Dnjepr Dnjepropetrowsk (1969-1973)
Dynamo Kiew (1974-1990 und 1997-2002)
Nationalmannschaft UdSSR (1975-1976, 1982-
1983 und 1986-1990)
Nationalmannschaft Vereinigte Arabische
Emirate (1990-1993)
Nationalmannschaft Kuwait (1994-1996)
Nationalmannschaft Ukraine (2000-2001)
Vize-Europameister 1988
Europapokal der Pokalsieger 1975, 1986
Sowjetischer Meister 1974, 1975, 1977, 1980,
1981, 1985, 1986, 1990
Sowjetischer Pokalsieger 1974, 1978, 1982,
1985, 1987, 1990

Zwei Tage, nachdem Superstar Andrij Schewtschenko mit dem AC Mailand die Champions League im Finale 2003 gegen Juventus Turin gewonnen hatte, flog er nach Kiew und legte die ihm verliehene Medaille vor die Statue seines früheren Trainers Waleri Lobanowski, direkt vor dem Lobanowski-Dynamo- Stadion. „Es ist der Cup, den Waleri immer gewinnen wollte, und ich habe ihn hierher gebracht, damit Waleri, damit die ganze Ukraine am Erfolg teilhaben kann“, würdigte Schewtschenko seinen Entdecker und Förderer. Was war das für ein Trainer, der mit Oleg Blochin (1975), Igor Belanow (1986) und Schewtschenko (2004) allein drei Fußballer Europas herausgebracht hatte und von seinen Spielern verehrt wurde?

Der deutsche Trainer Ralf Rangnick antwortete einmal in einem Interview auf die Frage: „Es heißt, Sacchi habe sein eigenes Fußballsystem an jenem Tag hinterfragt, als Italien gegen Lobanowskis ,Sbornaja’ im Halbfinale der EM 1988 verlor. Haben Sie auch ein Spiel, das Ihr Denken ähnlich veränderte?“ „Ja. Es war allerdings ein weniger wichtiges Spiel. Wir spielten 1984 gegen Dynamo Kiew, die in der Nähe ihr Trainingslager aufgeschlagen hatten. Ich war Spielertrainer und stand mit auf dem Feld. Nach etwa zehn Minuten hielt ich inne. Ich war vollkommen perplex und habe die Spieler durchgezählt. Ich zählte elf eigene Spieler und elf Kiewer. Doch die spielten so starkes Pressing und nutzten so geschickt die Weite des Feldes, dass ich annahm, sie hätten mindestens zwei Spieler mehr auf dem Platz.“

Was seinen Einfluss und seine Bedeutung für die Weiterentwicklung und Qualität des europäischen Fußballs in den Jahren von 1970 bis 1990 betrifft, so muss man Lobanowski auf eine Stufe stellen mit Trainern wie Ernst Happel (Feyenoord Rotterdam), Rinus Michels (Ajax Amsterdam) und Arrigo Sacchi (AC Mailand), die die Fußballtaktik in diesen zwei Dekaden entscheidend geprägt haben. Es war ein ganzheitlicher Ansatz, Fußball zu spielen, in dem universell ausgebildete Spieler gefordert waren; nicht mehr gefragt war hingegen der Typus des traditionellen Spielers mit seinen begrenzten, nur für spezielle Aufgaben in der Defensive oder Offensive geeigneten Fähigkeiten. Zuerst verschwanden die Flügelstürmer, dann kamen die reinen Außenverteidiger dran, am Ende all jene Stürmer, die keine defensiven Aufgaben übernehmen wollten oder konnten.

Der holländische Fußballstil zu Beginn der 70er Jahre beeindruckte den Trainer Lobanowski, damals noch jung, schlank und angespannt wie der Dirigent eines Sinfonieorchesters, als er die wunderbare Mannschaft von Dynamo Kiew schuf. Das „rote Orchester“ war für viele Jahre die Spitzenmannschaft des Ostblocks, die europäische Titel gewann und den Kern der sowjetischen Nationalmannschaft stellte. Als Lobanowski mit der Sowjetunion im Endspiel der Europameisterschaft 1988 in München auf die Niederlande traf, gecoacht von seinem Lehrmeister Rinus Michels, standen acht Spieler seines Clubs Dynamo Kiew in der sowjetischen Mannschaft.

Anfänglich hatte er den KGB am Hals

Die Grundlage seiner frühen Erfolge bei Dynamo Kiew waren hochtalentierte Spieler, die Adaption des zu jener Zeit stilbildenden holländischen „total footbal“ sowie die Einführung modernster Trainingsmethoden auf der Basis sportwissenschaftlicher Erkenntnisse und Erfahrungen aus anderen Sportarten. Auf dem Gelände von Dynamo Kiew im Kiefernwald am Stadtrand zog nach und nach ein Hauch von Hightech ein. Und das in einem politisch so erstarrten System, dass Lobanowski anfänglich den KGB am Hals hatte, der wissen wollte, was er um alle Welt beabsichtigte, als er einen Computer anschaffen ließ, um das umfangreiche wissenschaftliche Datenmaterial zu verarbeiten. Jetzt wurden Parameter aus dem Trainingsprogramm der sowjetischen Kosmonauten zum Übungsaufbau herangezogen; Druckkammern, die Höhenluft bis zu 7000 Metern simulierten, beschleunigten die Rehabilitation verletzter Spieler. Und Lobanowski drillte die Mannschaft auf absolute Fitness.

Grabstätte von Waleri Lobanowski:
Kiew, Friedhof Bajkowe,
Ulica Bajkowaja 6.

Unverkennbar war seine Haltung, wenn er auf der Trainerbank saß. Die Tageszeitung „Die Welt“ schrieb: „Seine Mimik wirkte immer wie einbetoniert, seine Bewegungsarmut am Rasenrand war legendär.“ Der ukrainische Fußballtrainer Lobanowski schien geradezu beispielhaft für die alten Männer des untergehenden Sozialismus zu stehen, all die Breschnews, Andropows und Tschernenkos. Aber er war kein verbissener Apparatschik, sondern ein kreativer und Neuerungen aufgeschlossener Trainer, der Fußball modernster Prägung spielen ließ und Titel um Titel gewann. Im Zuge der Perestroika verschlug es ihn nach der WM 1990 für ein paar Jahre in den Nahen Osten, des Geldes wegen. Als er 1997 zu Dynamo Kiew zurückkehrte, war er ein anderer geworden, alt, beleibt und schwerfällig. Der ukrainische Schriftsteller Andruchowitsch schrieb: „Mit den Jahren hatte das Spiel aufgehört, ihn zu interessieren, alles hörte auf, ihn zu interessieren, außer Cognac. Es hieß, er trinke mehrere Flaschen am Tag und verfalle dann in eine lange, visionäre Erstarrung. Manche erinnerte er an Buddha, andere an einen russischen Bären.“

Im Jahr 2000 übernahm er patriotisch gesinnt zusätzlich die Nationalmannschaft der Ukraine, um sie für die WM 2002 zu qualifizieren, doch in den beiden Entscheidungsspielen scheiterte sein Team an Deutschland. Nach einem 1:1 in Kiew traf man am 14.11.2001 in Dortmund aufeinander. Als das 4:0 für Deutschland fiel, lächelte Lobanowski zum ersten Mal. Das bedeutete, dass es ihm wirklich übel ging. Es war sein letzter Auftritt auf der internationalen Fußballbühne. Ein paar Monate später starb er, ein Schlag traf sein mit strategisch-taktischen Ideen überlastetes Gehirn während eines belanglosen Spiels der ukrainischen Meisterschaft. Man brachte ihn noch ins Krankenhaus, aber alle wussten, dass er nicht zu retten war.

Edgar Wangen neben der Gedenkstatue von Waleri Lobanowski
vor dem Waleri-Lobanowski-Stadion, Kiew/Ukraine.

Staatspräsident Leonid Kutschma ordnete ein Staatsbegräbnis an. Rund 100.000 Menschen erwiesen dem Toten die letzte Ehre. In langen Reihen zogen die Trauernden im Kiewer Olympiastadion vorbei am aufgebahrten Leichnam des „Helden der Ukraine“, zu dem er posthum ernannt worden war, bevor er in Anwesenheit des gesamten Ministerrates auf dem Prominentenfriedhof Bajkowe bestattet wurde. Das Parlament der noch jungen Nation gedachte Waleri Lobanowskis mit einer Schweigeminute.

We are using cookies to give you the best experience. You can find out more about which cookies we are using or switch them off in privacy settings.

GDPR