Gaetano Scirea

Der italienische Preuße

Biografie
Geboren am: 25.3.1953 in Cernusco
sul Naviglio (bei Monza)
Gestorben am: 3.9.1989 bei Babsk, Polen
Grabstätte: Morsasco (Piemont) bei Acqui
Terme, Provinz Alessandria
Friedhof liegt ca. 500 m außerhalb des
Ortszentrums
Stationen der Karriere als Spieler
Position: Libero
Vereine: Atalanta Bergamo (1972-1974)
Juventus Turin (1974-1988)
78 Länderspiele (1975-1986); 2 Tore
WM-Teilnehmer 1978, 1982, 1986
Weltmeister 1982
551 Spiele für Juventus Turin
Europapokal der Landesmeister 1985
UEFA-Cupsieger 1977
Italienischer Meister 1975, 1977, 1978,
1981, 1982, 1984, 1986
Italienischer Pokalsieger 1977, 1983

Am 3. September 1989 stieg Gaetano Scirea in einen Leihwagen ein, der ihn von Warschau in das rund 300 km entfernte Katowice (das frühere Kattowitz) in Oberschlesien bringen sollte. Er hatte einen polnischen Fahrer und eine Dolmetscherin engagiert, die ihn auf dieser Fahrt zu einem Fußballspiel der polnischen Liga zwischen GKS Katowice und Gornik Zabrze (dem früheren Hindenburg) begleiten sollten. Ziel der Mission war die Beobachtung der Mannschaft von Gornik Zabrze, die in der ersten Runde des UEFA-Cups 1989/1990 Juventus Turin als Gegner zugelost worden war.

Scirea, Italiens Kapitän beim Gewinn der Fußballweltmeisterschaft 1982 in Spanien mit dem 3:1 im Endspiel gegen Deutschland, war seit zwei Jahren Co-Trainer seines Freundes Dino Zoff bei Juventus Turin. Der Zeitpunkt der Reise war denkbar ungünstig. Die wirtschaftliche Versorgungslage in den Staaten des damaligen Ostblocks war katastrophal, mit ein Grund für den politischen Auflösungsprozess, der in jenen Monaten zum Ende der kommunistischen Regimes führen sollte und den Fall der Berliner Mauer zwei Monate später zur Folge hatte. Scirea flog trotzdem nach Warschau, um mit dem Leihwagen in die Provinz zu fahren. Der Fahrer wies ihn auf die Benzinknappheit in Polen hin und empfahl, für gute Devisen Benzin in Reservekanistern mitzunehmen.

65 Kilometer hinter Warschau geschah das Unglück, das allen drei Insassen das Leben kostete. Ihr Wagen stieß mit einem LKW zusammen und fing Feuer, das infolge der gefährlichen Fracht so schnell um sich griff, dass Fahrer, Dolmetscherin und Gaetano Scirea im Auto verbrannten. Mehr als 15.000 Tifosi, darunter die nahezu vollständige Elite des italienischen Fußballs wohnten der Beerdigung Scireas in Morsasco, einem kleinen piemontesischen Bergdorf, bei.

Scirea hatte am 24. September 1972 in der Seria A debütiert, in einem Spiel seiner Mannschaft Atalanta Bergamo gegen US Cagliari. Zwei Jahre später wechselte er zu Juventus Turin in diesen legendären Verein, der im „who is who“ des italienischen Spitzenfußballs mehrere Seiten ausfüllt. Er spielte zusammen mit Michel Platini, Dino Zoff, Paolo Rossi, Roberto Bettega, Fabio Capello oder Zbigniew Boniek, um nur einige zu nennen. Scirea sicherte sich nach seinem Debüt bei Juventus gleich den Platz des Libero und füllte die Position so brillant aus, dass man ihn fast als „alter ego“ von Franz Beckenbauer hätte bezeichnen können, wenn er seine Position nicht so defensiv interpretiert hätte. Die gegnerische Hälfte kannte er nur vom Hörensagen. Man kann die Qualität seiner organisatorischen Abwehrarbeit auf eine Stufe mit Franco Baresi oder Fabio Cannavaro stellen, nur dass sich Letztere einige Jahre nach Scireas Karriere-Ende aufgrund der geänderten Spielsysteme gelegentlich in die Offensive einschalteten und Cannavaro 2006 sogar zum Welt-Fußballer gewählt wurde.

Am 30. September 1975 berief ihn Trainer Enzo Bearzot, „der Schweiger von Friaul“, zum ersten Mal in die Squadra Azzurra. Es dauerte eine Weile, bis er sich auch hier einen Stammplatz sichern konnte, denn auf seiner Position spielte Giacinto Facchetti, die Legende von Inter Mailand. Erst nach dessen Karriere-Ende 1978 wurde Scirea zum unumstrittenen Abwehrchef der italienischen Nationalmannschaft, und das gleich bei der Fußball-WM in Argentinien. Die endete für italienische Verhältnisse enttäuschend, weil die Mannschaft das entscheidende Spiel um den Einzug ins Finale gegen die Niederlande mit 1:2 verlor. Aber Enzo Bearzot, zu dem Scirea ein sehr enges Verhältnis pflegte, hatte bereits 1978 mit jungen Spielern wie Rossi, Graziani, Cabrini, Antognoni, Tardelli und eben Scirea die Basis dafür geschaffen, dass Italien 1982 in Spanien Weltmeister werden konnte.

Dabei sah es nach der Vorrunde gar nicht gut aus. Mit drei Unentschieden quälte sich die Squadra durch die Vorrunde, wurde von der Presse als „seelenlose Defensivmaschine“ verunglimpft. Hinter dem Gruppensieger Polen kam Italien nur deshalb weiter, weil es ein Tor mehr erzielte als Kamerun. Italien 2:2 Tore, Kamerun 1:1 Tore. Aber dann räumten die Azzurris auf dem Weg ins Finale alles weg, dank Paolo Rossi im Sturm und einer reinen Juve-Abwehr mit Zoff, Gentile, Cabrini und diesem Gaetano Scirea, diesem „Monster aus Mut und Stabilität“, wie ihn „France Football“ nannte. Nach einem souveränen 3:1 über Deutschland im Estadio Santiago Bernabeu in Madrid war Kapitän Dino Zoff der Überglückliche, der das Objekt der Begierde, den WM Pokal, aus der Hand von König Juan Carlos empfangen durfte. Endlich, nach 1934 und 1938, war Italien wieder Weltmeister. Bei der Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko wurde Scirea neuer Kapitän, aber Italien schied bereits im Achtelfinale mit 0:2 gegen Frankreich aus. Es war Scireas 78. und letztes Länderspiel.

Grabstätte von Gaetano Scirea:
Morsasco (Piemont) bei Acqui Terme, Provinz Alessandria, Friedhof liegt ca. 500 m außerhalb des Ortszentrums.
Morsasco, Provinz Allessandria,
Region Piemont/Italien.

Im Verein, bei Juventus, musste er lange auf den großen Triumph warten, und der wurde von schrecklichen Umständen begleitet. In den 70er Jahren dominierten in Europa die mitteleuropäischen Mannschaften von Ajax Amsterdam und Bayern München sowie die Teams von der Insel (FC Liverpool und Nottingham Forest) den Europapokal der Landesmeister. Am 25. Mai 1983 sollte es aber wieder so weit sein, dass die Trophäe nach Italien zurückkam. Juventus Turin, trainiert von Giovanni Trappatoni, traf auf das recht unbekannte Team des Hamburger SV, trainiert von Ernst Happel. In völliger Unterschätzung der taktischen Qualitäten des Österreichers und der spielerischen Fähigkeiten von Felix Magath und der Kampfkraft von „Manni“ Kaltz, Wolfgang Rolff oder Jürgen Groh unterlag Juve den nur scheinbar braven Hanseaten mit 0:1.

Organisator der Abwehr der
Squadra Azzuri: Gaetano Scirea.

Solche Gelegenheiten, an die europäische Spitze zu gelangen, boten sich den Vereinen damals selten, weil in jenen Jahren nur der nationale Meistertitel zur Teilnahme am Europapokal der Landesmeister berechtigte, und den musste man in Italien erst mal gewinnen. Dann kam der 29. Mai 1985 im Brüsseler Heysel-Stadion. Juventus war in der Saison zuvor Meister geworden und hatte sich bis ins Finale gegen den FC Liverpool durchgekämpft. Die „Reds“ waren Favorit, denn sie hatten in den letzten sieben Jahren mit ihrer großartigen Mannschaft viermal diesen Europapokal geholt. Und dann kam es Stunden vor dem Anpfiff zur Tragödie, als auf der Stehtribüne englische Hooligans auf die Juve-Fans losgingen. Damals war es noch nicht üblich, dass man die Anhänger der verschiedenen Vereine voneinander separierte und ihnen weit voneinander entfernte Plätze im Stadion zuwies. So brach unter den attackierten italienischen Fans eine Panik aus, bei der 39 Juve-Anhänger starben und viele schwer verletzt wurden. Unter dem Beigeschmack des Todes fand das Endspiel trotzdem statt, und dass Juventus 1:0 siegte, war nicht einmal mehr nebensächlich.

1988 beendete Scirea seine Karriere und wechselte in den Trainerstab seines Clubs, dessen Rekordspieler er lange war (erst im März 2008 löste ihn Allessandro del Piero als neuer Rekordhalter ab). Ein paar Monate nach seinem Tod wurde das Turiner WM-Stadion „Delle Alpi“ eingeweiht. Die Südkurve, dort, wo die wahren Fans von Juventus stehen, bekam auf ihren Wunsch hin den Namen „Curva Scirea“.

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