Die Breslau-Elf

Fußball unterm Hakenkreuz

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Von rechts: Fritz Szepan, Hans Jakob, Rudi Gellesch, Ernst Lehner, Reinhold Münzenberg, Ludwig Goldbrunner, Paul Janes, Otto Siffling, Adolf Urban, Andreas Kupfer, Albin Kitzinger

Die Mannschaft:

Hans Jakob

SSV Jahn Regensburg)
Geboren am: 26.6.1908 in Regensburg
Gestorben am: 24.3.1994 in Regensburg
Position: Torwart
Grabstätte: Regensburg

Paul Janes

(Fortuna Düsseldorf)
Geboren am: 11.3.1912 in Küppersteg
Gestorben am: 12.6.1987 in Düsseldorf
Position: Rechter Verteidiger
Grabstätte: Düsseldorf

Reinhold Münzenberg
(Alemannia Aachen)
Geboren am: 7.3.1908 in Aachen
Gestorben am: 26.6.1986 in Aachen
Position: Linker Verteidiger
Grabstätte: Aachen

Ludwig Goldbrunner
(FC Bayern München)
Geboren am: 5.3.1908 in München
Gestorben am: 26.9.1981 in München
Position: Mittelläufer
Grabstätte: München

Andreas „Ander“ Kupfer
(1. FC Schweinfurt 05)
Geboren am: 7.5.1914 in Schweinfurt
Gestorben am: 30.4.2001 in Marktbreit
Position: Rechter Läufer
Grabstätte: Schweinfurt

Albin Kitzinger

1. FC Schweinfurt 05)
Geboren am: 1.2.1912 in Schweinfurt
Gestorben am: 6.8.1970 in Schweinfurt
Position: Linker Läufer
Grabstätte: Schweinfurt

Ernst Lehner (Schwaben Augsburg)
Geboren am: 7.11.1912 in Augsburg
Gestorben am: 10.1.1986 in Aschaffenburg
Position: Rechtsaußen
Grabstätte: Aschaffenburg

Rudolf „Rudi“ Gellesch
(FC Schalke 04)
Geboren am: 1.5.1914 in Gelsenkirchen
Gestorben am: 20.8.1990 in Kassel
Position: Halbrechter Stürmer
Grabstätte: Bad Cannstatt

Otto Siffling

SV Waldhof Mannheim)
Geboren am: 3.8.1912 in Mannheim
Gestorben am: 20.10.1939 in Mannheim
Position: Mittelstürmer
Grabstätte: Mannheim

Fritz Szepan

(FC Schalke 04)
(siehe Einzelporträt)
Geboren am: 2.9.1907 in Gelsenkirchen
Gestorben am: 14.12.1974 in Gelsenkirchen
Position: Halblinker Stürmer
Grabstätte: Gelsenkirchen

Adolf Urban

(FC Schalke 04)
(siehe Einzelporträt)
Geboren am: 9.1.1914 in Gelsenkirchen
Gestorben am: 27.5.1943 in Staraja Russa,
Russland
Position: Linksaußen
Grabstätte: Gelsenkirchen

Trainer: Josef „Sepp“ Herberger
(siehe Einzelporträt)
Geboren am: 28.3.1897 in Mannheim
Gestorben am: 28.4.1977 in Weinheim
Grabstätte: Hohensachsen/Gemeinde
Weinheim

Mit einer Zwangsfusion im Mai 1938 endeten die glänzenden Perspektiven der besten deutschen Nationalmannschaft vor dem Zweiten Weltkrieg. Die WM 1938 in Frankreich stand bevor, und ganz Fußballdeutschland rechnete sich Chancen auf den Titel aus. Auslöser dieser Euphorie war die spielerische und kämpferische Qualität einer Mannschaft, die seit rund einem Jahr kein Länderspiel mehr verloren hatte und als „Breslau-Elf “ die Schlagzeilen der Fußballberichterstattung prägte. In der schlesischen Metropole hatte diese deutsche Nationalmannschaft am 16. Mai 1937 in einer spielerischen Sternstunde das starke Dänemark mit 8:0 deklassiert.

Die Erfolgsgeschichte endete, bevor sie richtig angefangen hatte. Am 12. März 1938 annektierte Deutschland die Republik Österreich. Trainer Sepp Herberger musste auf höhere Weisung mit einer Mannschaft in den WM-Vorbereitungslehrgang am 2. Mai 1938 gehen, die paritätisch mit Spielern aus dem „Altreich“ und der „Ostmark“ besetzt zu sein hatte. DFB-Präsident Felix Linnemann hatte unmissverständlich formuliert: „Herr Herberger, leben Sie denn auf dem Mond? Der Reichsführer wünscht ein 6:5 oder 5:6.“

Dem Reichstrainer waren die Schwierigkeiten bewusst, aus zwei Mannschaften, die jede für sich Titelchancen besaßen, eine Retortenelf zu formen. Unterschiedliche Spielsysteme und Mentalitäten ließen sich in der kurzen Vorbereitungszeit nicht so harmonisieren, dass ein eingespieltes Team in Frankreich auflaufen konnte.

Wiener Melange mit preußischem Einschlag: Das konnte nicht gut gehen. Angesichts der unerfreulichen Vorgänge im Zusammenhang mit dem „Anschluss“ Österreichs kam es natürlich auch zu Aversionen einzelner Spieler gegen die verordnete Delegierung in die „Großdeutsche Nationalmannschaft“. Ein Beispiel war Matthias Sindelar. Selbstverständlich hätte Herberger den genialen Spielmacher von der Wiener Austria liebend gerne dabeigehabt. Aber der verweigerte sich demonstrativ – und suchte im Januar 1939 den Freitod. Hinzu kam, dass die österreichischen Profis mit ihren Funktionären bereits Handgelder und Prämien ausgehandelt hatten, während die deutschen Spieler weiterhin wie Amateure behandelt wurden, was ihnen allenfalls ein paar Spesen einbrachte.

Die „Großdeutsche Mannschaft“ schied bei der WM bereits in der ersten Runde gegen die Schweiz aus, die schlechteste Bilanz, die bis heute eine deutsche Fußballnationalmannschaft bei Weltmeisterschaften aufzuweisen hatte. Bis zur WM 2018 in Russland. Da war die „Mannschaft“ noch schlechter. Der 9. Juni 1938 im Prinzenparkstadion von Paris war das Ende der „Breslau-Elf “. Nach diesem Debakel erhielt Herberger mehr freie Hand beim Neuaufbau. Die Mannschaft veränderte sich weniger in der Abwehr als im Sturm, denn dort tauchten jetzt die Namen Helmut Schön (Dresdner SC), Bimbo Binder (Rapid Wien), Edmund Conen (FV Saarbrücken), Wilhelm Hahnemann (Admira Wien) und, erstmals am 14. Juli 1940 im Spiel gegen Rumänien, Fritz Walter auf. Die Qualität der Mannschaft verbesserte sich sofort, aber der Krieg machte Ländervergleiche immer schwieriger. Der 5:2-Auswärtssieg Deutschlands gegen die Slowakei am 22. November 1942 war der letzte Auftritt der Nationalmannschaft und jener Spieler, die von der „Breslau-Elf “ übrig geblieben waren. Acht lange Jahre gab es keine deutsche Nationalmannschaft mehr.

Als Sepp Herberger Ende 1936 Schritt für Schritt die Nachfolge von Reichstrainer Otto Nerz übernahm, dem man das Olympiadebakel von Berlin 1936 anlastete, hatte ihm angesichts des vorhandenen Spielerpotenzials eine Nationalmannschaft vorgeschwebt, die athletisch und spielerisch auftreten sollte. In den zwei Jahren bis zur WM 1938 hoffte er genügend Zeit zu haben, ein solches Team zu formen. In seinem Tagebuch notierte er: „Es ist mein unabänderlicher Wille, mit dem starren, exerziermäßigen Spiel unserer Mannschaft zu brechen.“ Wie 17 Jahre später bei der WM 1954 in der Schweiz verließ er sich auf einen festen Kern von Spielern, die das Rückgrat des Teams bilden sollten. Sein Fritz Walter von 1937 war Fritz Szepan von Schalke 04. Er war die Schaltzentrale, über die die schnellen Angriffe der Schalker Mitspieler „Ala“ Urban und Rudi Gellesch laufen sollten, abgesichert vom kongenialen Schweinfurter Außenläuferpaar Kitzinger und Kupfer.

Es war sehr heiß an jenem Maitag 1937 in Breslau, als die deutsche und die dänische Mannschaft in das rund 40.000 Zuschauer fassende „Hermann-Göring-Sportfeld“, die frühere Schlesierkampfbahn, einliefen. Nach dem Match kannte jedes Kind die Namen der deutschen Spieler: Im Tor der lange Hans Jakob, der an diesem Tag beschäftigungslos blieb. Vor ihm bauten sich mit Paul Janes, Reinhold Münzenberg und Ludwig Goldbrunner beeindruckende Gestalten auf, die von der Optik und den Fähigkeiten her die Exponenten des damals gewünschten deutschen Mannsbildes waren: groß gewachsen, laufstark und hart im Zweikampf. Die spielerischen Komponenten brachte das Mittelfeld ein, und vorne im Sturm war es nicht der „Heilige Geist“, der an diesem Pfingstsonntag auf die Dänen niederfuhr, sondern der „horror teutonicus“ in Gestalt des jungen „Mannheimer Bub“ Otto Siffling, der neben dem erfahrenen Ernst Lehner mit kraftvollem Einsatz seinem Beinamen „Holz“ alle Ehre machte und allein fünf Tore erzielte. Die Fußballwoche titelte: „Der Abpfiff kam den Dänen vor wie der schrille Ton der Trompeten von Jericho, die zum Jüngsten Gericht blasen.“

Die Trompeten von Breslau bliesen für die Dänen zum Jüngsten Gericht

In den Folgejahren ging Herbergers Mannschaft der Glanz von Breslau verloren, nicht nur wegen der Zwangsvereinigung mit den österreichischen Nationalspielern. Der „Fußball unterm Hakenkreuz“ hatte politisch-ideologischen Interessen zu gehorchen, und mit Beginn des Zweiten Weltkrieges im September 1939 zerfiel endgültig das, was von der „Breslau-Elf “ übrig war. Otto Siffling starb kurz nach Kriegsbeginn 27-jährig an den Folgen einer Rippenfellentzündung. Einige mussten zur Wehrmacht wie Adolf Urban, der 1943 an der Ostfront fiel. Andere beendeten ihre Karriere. Herberger versuchte ab Kriegsbeginn alles, mit seinen Kandidaten für die Nationalmannschaft in Verbindung zu bleiben und sie, wenn möglich, vor dem Fronteinsatz zu schützen. Mit zunehmender Härte des Krieges wurde das schwieriger, zumal Ende 1942 der Länderspielbetrieb eingestellt wurde und Deutschland in Schutt und Asche versank. 1945 verschwand sogar der Name Breslau von den europäischen Landkarten. Die schlesische Metropole heißt seither Wroclaw.

Grabstätte von Hans Jakob: Regensburg, Friedhof Obere Stadt,
Bischof-Konrad-Straße 11, Abt. 2; erstes Grab am Weg.
Grabstätte von Reinhold Münzenberg:
Aachen, Waldfriedhof,
Monschauerstraße 65, Flur 41; Grab Nr. 23/24.
Grabstätte von Andreas Kupfer: Schweinfurt, Hauptfriedhof, Am Friedhof 17, Abteilung 55; Reihe A; Stelle 007, Urnengrabbereich.
Grabstätte von Paul Janes: Düsseldorf, Friedhof Stoffeln,
Bittweg 60, Feld 14; Grab Nr. 11843/44.
Grabstätte von Ludwig Goldbrunner:
München, Ostfriedhof,
St.-Martins-Platz 1, Sektor 111; Reihe 5; Grab Nr. 16.
Grabstätte von Albin Kitzinger: Schweinfurt, Hauptfriedhof,
Am Friedhof 17, Abt. 3; Stelle 12.
Grabstätte von Ernst Lehner: Aschaffenburg, Altstadtfriedhof,
Am Güterberg, Kirchhofweg, KT (Kinderteil), Grab Nr. 135, Grab
wurde 1996 aufgelassen. Neue Grabstätte: Familie Rohwedder.
Grabstätte von Otto Siffling: Mannheim, Friedhof Käfertal
Alter Postweg 26, Feld 1/4; Reihe 6; Grab wurde aufgelassen.
Neue Grabstätte: Familie Walter.
Grabstätte von Adolf Urban: Schalke-FanFeld, Pfeilstraße 37, 45897 Gelsenkirchen
Quelle Foto: Peter R. Seeber
Grabstätte von Rudi Gellesch
Bad Cannstatt,
Friedhof Uffkirchhof, Wildungerstraße 59,
Abteilung 3; Reihe 6, Grabfolge 5; Grab Nr. 1844.
Grabstätte von Fritz Szepan: Gelsenkirchen, Am Rosenhügel,
Haupteingang geradeaus, erster Weg links hinter Glockenturm,
Grab links.
Grabstätte von Josef „Sepp“ Herberger:
Hohensachsen/
Gemeinde Weinheim, Friedhof St. Jakobus, Talstraße 17,
an der Friedhofskapelle.

Es war einer großartigen Fußballergeneration nicht vergönnt, ihr herausragendes Können auf Europas Fußballfeldern zu zeigen. Stattdessen mussten sie auf dessen Schlachtfeldern kämpfen und fanden – wenn sie überlebten – bei ihrer Rückkehr meist zerschlagene Vereinsstrukturen und zerstörte Stadien vor. Nur ein Spieler aus der „Breslau-Elf “ kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg in die Nationalmannschaft zurück, beim ersten Länderspiel 1950 in Stuttgart gegen die Schweiz (1:0): Der frühere Reichstrainer und seit 1949 neue Bundestrainer Sepp Herberger nominierte „Ander“ Kupfer von Schweinfurt 05 für sein 44. und letztes Länderspiel für Deutschland, zusammen mit Toni Turek, Max Morlock und Ottmar Walter, die neben dem verletzten Fritz Walter die Vorboten einer neuen, großen Fußballergeneration waren und Herbergers Traum von 1936 achtzehn Jahre später mit dem Gewinn des Weltmeistertitels 1954 verwirklichten.

Betrachtet man die Biografien der Spieler aus der „Breslau-Elf “, die den Krieg überlebt hatten, so fällt auf, dass bis auf Fritz Szepan alle ein recht bescheidenes, einfaches bürgerliches Leben verbrachten. Ernst Lehner, der von Schwaben Augsburg kam und mit 65 Länderspieleinsätzen und 31 Toren in den DFB-Statistiken immer noch ganz oben steht, wurde 1947 Leiter des Städtischen Sportamtes von Aschaffenburg und blieb es bis zu seiner Pensionierung 1978. Rudi Gellesch von Schalke 04 begann nach dem Krieg als Trainer kleinerer Vereine, bevor er sich von 1955 bis zu seiner Pensionierung 1978 als Angestellter des Hessischen Fußballverbandes um die Trainerausbildung kümmerte. Paul Janes von Fortuna Düsseldorf, mit 71 Länderspielen zweifelsohne einer der besten deutschen Fußballer aller Zeiten, arbeiteteals Angestellter im Düsseldorfer Sportamt und betrieb nebenher eine Gaststätte in Küppersteg bei Düsseldorf. „Ander“ „Kupfer mit einem Pflastergeschäft in Schweinfurt, Reinhold Münzenberg als Bauunternehmer in Aachen und Hans Jakob als Betreiber eines Lotto/Toto-Geschäftes in Regensburg gingen den Weg in die Selbständigkeit. Ludwig Goldbrunner als Kühlhausmeister des Münchner Schlacht- und Viehhofes und Albin Kitzinger als Abteilungsleiter der Energieversorgung bei Fichtel & Sachs in Schweinfurt arbeiteten als gewöhnliche Angestellte.

Verglichen mit den „Helden von Bern“ war den einzelnen Spielern bis auf wenige Ausnahmen kein Nachruhm beschieden. Die „Breslau-Elf “ steht für eine Dekade in der deutschen Geschichte, die erst sehr spät nach dem Krieg aufgearbeitet wurde. Zur Legendenbildung blieb angesichts der schrecklichen Geschehnisse jener Vorkriegs- und Kriegsjahre kein Raum.

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