Sándor Kocsis

Das Goldköpfchen

Biografie
Geboren am: 23.9.1929 in Budapest
Gestorben am: 22.7.1979 in Barcelona
Grabstätte: Budapest,
St. Stephans-Basilika, Szent Istvan ter, Krypta
Stationen der Karriere als Fußballer
Position: Halbstürmer
Vereine: Ferencvaros Budapest (1946-1950)
Honved Budapest (1950-1956)
Young Fellows Zürich (1957-1958)
FC Barcelona (1958-1966)
68 Länderspiele (1948-1956); 75 Tore
Olympiasieger 1952
Vizeweltmeister 1954
Mitglied der „Goldenen Mannschaft”
Torschützenkönig WM 1954 (11 Tore)
Ungarischer Meister 1950, 1952, 1954, 1955
Spanischer Meister 1959, 1960

Als am 3. August 2001 das Berner Wankdorfstadion gesprengt und dem Erdboden gleichgemacht wurde, um an derselben Stelle ein neues Stadion für die EM 2008 zu errichten, wird sich Sándor Kocsis vor Freude im Grab umgedreht haben, und sein einstiger kongenialer Mitspieler Zoltán Czibor gleich mit. Wie oft werden sie dieses Stadion verflucht haben, in dem ihnen ihre größten Triumphe versagt blieben: der Gewinn des Weltmeistertitels am 4. Juli 1954, als sie hoch favorisiert mit ihrem ungarischen Team Deutschland unterlagen, und der Gewinn des Europapokals der Landesmeister am 31. Mai 1961, als der klare Favorit FC Barcelona, für den sie seit ihrer Flucht aus Ungarn 1956 spielten, gegen Benfica Lissabon verlor. Sogar die Endergebnisse waren gleich. Beide Spiele gingen mit 2:3 verloren.

Er wird sich vor Freude im Grab umgedreht haben

Kocsis Vorfahren stammten aus dem deutschsprachigen Banat im heutigen Rumänien. Seine Familie emigrierte nach dem Ersten Weltkrieg nach Budapest, wo der junge Alexander (Schani) Wagner 1929 geboren wurde. Es ist nicht bekannt, wann er in Sandor Kocsis umbenannt wurde bzw. sein Name magyarisiert wurde. Er wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Sein Vater arbeitete als Nachtwächter einer Markthalle. Der junge „Schani“ war ein klassischer Strassen-Fußballer, mit 1,77 durchschnittlich groß, aber mit enormer Sprungkraft und excellentem technischen Vermögen ausgestattet. Man nannte ihn aufgrund seiner Kopfball-Stärke „Goldköpfchen“, trotz seines zigeunerhaften Aussehens. Schon mit 16 Jahren gab er sein Erstliga-Debüt bei Ferencvaros Budapest, mit 17 bestritt er sein erstes Länderspiel für Ungarn, und das an der Seite von Ferenc Puskás, mit dem er später nach seinem Wechsel zu Honved Budapest einen Innensturm von Weltklasse bildete. Er war der torgefährlichste Stürmer der „Goldenen Mannschaft“ Ungarns, die ab 1950 Europas Fußballbühnen beherrschte und, wie viele meinten, in logischer Konsequenz den „Coupe Jules Rimet“ 1954 in der Schweiz nur abzuholen brauchte.

Kocsis spielte ein hervorragendes Turnier und wurde mit elf Treffern Torschützenkönig. Aber im Finale gelang ihm kein Treffer, weil Karl Mai von der SpVgg Fürth ihn nicht zur Entfaltung kommen ließ. Seine Torquote bei Länderspielen ist bis heute unerreicht, selbst von Gerd Müller nicht. Kocsis erzielte in 68 Länderspielen 75 Tore (Quote: 1,103 pro Spiel), Gerd Müller in 62 Länderspielen 68 Tore (Quote: 1,097 pro Spiel).

Sándor Kocsis erzielt den Siegtreffer zum 4:2 n. V. gegen Uruguay im Halbfinale der WM 1954. Torwart Maspoli und Stopper Santamaria sind geschlagen.

Allzu viele Länderspiele kamen freilich nach dem Drama von Bern nicht mehr hinzu, denn im Oktober 1956 brach in Ungarn der Volksaufstand aus. Die Mannschaften von MTK Budapest (das damals, nämlich von 1952 bis 1956, Budapesti Vörös Lobogó hieß) und Honved Budapest setzten sich nach Wien ab und verfolgten von dort die Entwicklung in Ungarn, hin und her gerissen zwischen der Hoffnung, nach Ungarn zurückkehren zu können, und dem Wunsch, lukrative Profiverträge im Westen zu unterschreiben. Puskás, Czibor und Kocsis entschieden sich für die Emigration, obwohl ihnen seitens der FIFA längere Sperren drohten. Was ihnen die Entscheidung erleichterte, war, dass sie in den Wirren des Aufstandes ihre Familien bereits ins sichere Ausland geholt hatten. Als Kocsis im November 1956 in der Schweiz eintraf, erwarteten ihn dort schon Braut und Schwiegermutter. Die kurz darauf verhängte Spielsperre von einem Jahr überbrückte er als Trainer bei den Young Fellows Zürich, so lange, bis er die Einreisegenehmigung für Spanien in Verbindung mit der Spielgenehmigung für den FC Barcelona erhielt.

Sandor Kocsis, Luiz Suarez und Ladislaus Kubala v.l. im Dress des FC Barcelona

Ladislaus Kubala, sein legendärer, schon Anfang der 50er Jahre emigrierter Landsmann, hatte ihn gemeinsam mit Zoltán Czibor zu den Katalanen vermittelt. Die drei Magyaren bildeten mit den Weltklassespielern Luis Suarez und Evaristo eine großartige Offensive, die allerdings auf europäischer Ebene lange im Schatten des übermächtigen Real Madrid stand. 1961 jedoch konnte sich der FC Barcelona endlich aus diesem Schatten lösen, denn die Katalanen schalteten den Titelverteidiger Real im Achtelfinale aus. Das Team erreichte das Endspiel gegen Benfica Lissabon, nachdem es sich im Halbfinale gegen den Hamburger SV mit viel Glück und dank eines Tores von Kocsis in der letzten Minute in ein Entscheidungsspiel gerettet hatte, das mit 1:0 gewonnen wurde.

Im Berner Wankdorfstadion war am 31. Mai 1961 alles angerichtet, den ersehnten Europapokal in die katalanische Hauptstadt mitzunehmen. Es galt nur noch, das als schwächer eingeschätzte Benfica Lissabon zu schlagen. Aber es kam anders, denn an diesem Tag ging der Stern von Benfica auf, und Kocsis hatte sein Déja-vu-Erlebnis: Barcelona verlor mit 2:3, trotz großer Überlegenheit.

Wären die Katalanen doch nicht so arrogant gewesen! Die Mannschaft reiste erst dreißig Stunden vor dem Endspiel in Bern an und quartierte sich in einem Stadthotel ein. Bereits eine Woche vorher hatte der ungarische Trainer von Benfica Lissabon, Bela Guttmann, mit seinem Team das Hotel Belvedere in Spiez bezogen, das 1954 Quartier der deutschen Nationalmannschaft während der WM in der Schweiz war, und bereitete seine Spieler gewissenhaft in der ruhigen Landschaft um den Thuner See vor. Der Trainer und die Funktionäre von Barcelona wussten das, ignorierten aber das Menetekel, das von diesem abgeschiedenen Seehotel ausging und die Ungarn an die Katastrophe im Berner Wankdorfstadion gemahnte. So kam es, wie es kommen musste.

Ehemalige Grabstätte von Sándor Kocsis:
Barcelona, Cementerio de Montjuic Mare de Deu del Port 54-58, Via Santisima Trinitat, Agrupacio (Sektor) 12; Nicho (Urnennische) 2062.

Kocsis ließ seine Karriere beim FC Barcelona ausklingen und blieb in der katalanischen Hauptstadt sesshaft. Er führte mit seiner Frau ein Restaurant und gab ihm den Namen „Tete d’Or“ (Goldkopf). Eine Rückkehr nach Ungarn blieb ihm versagt. Es erging ihm anders als seinen Mit- Emigranten Czibor und Puskás, die 1990 nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs als Helden der großen ungarischen Fußballvergangenheit in ihr Heimatland zurückkehrten.

Neue Grabstätte: Budapest
St. Stephans-Basilika Szent Istvan ter 1, Krypta

Schon 1974 hatte man bei Sándor Kocsis Gefäßverengungen im Fuß diagnostiziert. 1979 stand ihm eine Beinamputation bevor. Wie niederschmetternd muss die Entscheidung des Arztes auf ihn gewirkt haben. Für einen Fußballer war das, als reiße man ihm das Herz aus dem Leib. Am 22. Juli 1979 stürzte er sich aus dem vierten Stockwerk des Quiron-Krankenhauses in Barcelona und setzte seinem Leben mit nur 49 Jahren ein tragisches Ende.

Neue Grabstätte von Sándor Kocsis

Er kehrte erst am 21. September 2012, an seinem 83. Geburtstag und 56 Jahre nach seiner Flucht nach Ungarn zurück. Die Öffnung des „Eisernen Vorhangs“ hatte er nicht mehr erlebt. In der St. Stephans-Basilika erhielt er ein Ehrenbegräbnis in der Gruft der ungarischen Könige. Weiße Rosen zierten sein Schwarz-Weiß-Bild und seine Urne auf dem Altar.

In der Krypta ruht er nun Seite an Seite mit seinem kongenialen Mitspieler Ferenc Puskas. 2014 und 2015 gesellten sich seine Mitspieler aus der „Goldenen Mannschaft“, Gyula Grosics und Jenö Buzansky, dazu. Nun ruhen alle Spieler der „Goldenen Mannschaft“ von 1954 wieder in Ungarns Erde.

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