Die Goldene Mannschaft

Die Wunde von Bern

Die Goldene Mannschaft 1953. Stehend von links: Gyula Lorant, Jenö Buzansky, Nándor Hidegkuti, Sándor Kocsis, Jozsef Zakarias, Zoltán Czibor, Jozsef Bozsik, Laszlo Budai; Kniend von links: Mihaly Lantos, Ferenc Puskás, Gyula Grocsis.

Die Mannschaft

Gyula Grosics (Honved Budapest)
Geboren am: 4.2.1926 in Dorog
Gestorben am: 13.6.2014 in Budapest
Position: Torwart
Grabstätte: Budapest

Jenö Buzanszky (Dorogi Banyasz)
Geboren am: 4.4.1925 in Domovar
Gestorben am: 11.01.2015 in Esztergom
Position: Rechter Verteidiger
Grabstätte: Budapest

Mihaly Lantos

(MTK Budapest)
Geboren am: 29.9.1928 in Budapest
Gestorben am: 31.12.1989 in Budapest
Position: Linker Verteidiger
Grabstätte: Budapest

Gyula Lorant (Honved Budapest)
Geboren am: 6.2.1923 in Köszeg
Gestorben am: 31.5.1981 in Saloniki
Position: Mittelläufer
Grabstätte: Endingen am Kaiserstuhl

Jozsef Bozsik (Honved Budapest)
Geboren am: 22.11.1925 in Budapest
Gestorben am: 31.5.1978 in Budapest
Position: Rechter Läufer
Grabstätte: Budapest

Jozsef Zakarias

(MTK Budapest)
Geboren am: 5.3.1924 in Budapest
Gestorben am: 12.11.1971 in Budapest
Position: Linker Läufer
Grabstätte: Budapest

Laszlo Budai (Honved Budapest)
Geboren am: 19.7.1928 in Budapest
Gestorben am: 2.7.1983 in Budapest
Position: Rechtsaußen
Grabstätte: Budapest

Sándor Kocsis (Honved Budapest)
(siehe Einzelporträt)
Geboren am: 23.9.1929 in Budapest
Gestorben am: 21.7.1978 in Barcelona
Position: Halbrechter Stürmer
Grabstätte: Barcelona

Nándor Hidegkuti (MTK Budapest)
(siehe Einzelporträt)
Geboren am: 3.3.1922 in Budapest
Gestorben am: 14.2.2002 in Budapest
Position: Mittelstürmer
Grabstätte: Budapest

Ferenc Puskás (Honved Budapest)
(siehe Einzelporträt)
Geboren am: 2.4.1927 in Budapest
Gestorben am: 17.11.2006 in Budapest
Position: Halblinker Stürmer
Grabstätte: Budapest

Zoltán Czibor (Honved Budapest)
(siehe Einzelporträt)
Geboren am: 23.8.1928 in Kaposvarott
Gestorben am: 1.9.1997 in Györ
Position: Linksaußen
Grabstätte: Komarom

Trainer: Gusztav Sebes
Geboren am: 21.6.1906 in Budapest
Gestorben am: 14.2.1986 in Budapest
Grabstätte: Budapest

Wembley, 25. November 1953, 14.15 Uhr; 105.000 Zuschauer. England gegen Ungarn. Seit Wilhelm dem Eroberer, der 1066 auf der Insel landete und das englische Heer unter König Harald II. vernichtend schlug, hat England nicht mehr gegen kontinentale Gegner verloren. Und das wird so bleiben, dessen sind sich die Zuschauer sicher. Doch als das Spiel um 16.00 Uhr abgepfiffen wird, verstehen sie die Welt nicht mehr. Ungarns „Goldene Mannschaft“ (ungarisch: „Aranycsapat“) hat das Mutterland des Fußballs handstreichartig erobert und mit 6:3 deklassiert, eine Majestätsbeleidigung Albions. Entfesselnd spielende Magyaren hatten dem „Home Record“ Englands, das noch nie ein Länderspiel auf heimischem Boden verloren hatte, ein spektakuläres Ende gesetzt. Hymnisch trugen Europas und Südamerikas Sportjournalisten die Kunde in ihre Länder, dass man eine Mannschaft gesehen habe, die in allen Belangen neue Maßstäbe für Spielsystem und individuelle Klasse der Spieler gesetzt habe. Man müsse den osteuropäischen Fußball auf der Rechnung haben, wenn es im nächsten Jahr in der Schweiz um den WM-Titel gehe. Der Sieg in Wembley war Balsam für die Seelen der ungarischen Bevölkerung, die zu jener Zeit in ihrem stalinistisch regierten Staat unter harter politische Repression und wirtschaftlicher Depression litt. Aber er war auch Wasser auf die Mühlen der sozialistischen Propaganda, die den Triumph als Ausdruck eines überlegenen Gesellschaftssystems in dieser dunklen Phase des Kalten Krieges feierte.

Trainer Gusztav Sebes, eng vernetzt in der kommunistischen Partei Ungarns, war es gelungen, aus einer Ansammlung großartiger Spieler ein Team zu formen, das wie ein Uhrwerk funktionierte, in dem alles ineinandergriff und das bei aller Kollektivität den einzelnen Klassespielern reichlich Entfaltungsmöglichkeiten bot. Für Sebes war es enorm hilfreich, auf Befehl von oben die besten Spieler Ungarns zu zwei ausgewählten Mannschaften delegieren zu können. Einmal zum MTK Budapest, der damals gerade Vörös Lobogo („Rotes Banner“) hieß und dem Geheimdienst zugeordnet war, sowie zu Kispest Budapest, das jetzt Honved („Heimatverteidiger“) genannt wurde und zur Nationalen Volksarmee gehörte. Man orientierte sich am Vorbild des großen Bruders in Moskau, der die Vereine Dynamo Moskau dem KGB und ZSKA Moskau der Roten Armee angegliedert hatte. Einzige Ausnahme bei der Delegierung von ungarischen Spielern zu MTK und Honved war Verteidiger Jenö Buzanszky, der, warum auch immer, in der Provinz weiterspielen durfte.

Den Spielern ging es sehr gut. Sie hatten Privilegien, machten Karriere in Armee und Partei, konnten Länderspiele im Ausland ungeahndet für kleinen Schmuggel nutzen und waren gesellschaftlich hochgeachtet. Jetzt stand die Weltmeisterschaft 1954 bevor. Ungarn hatte seit dem 14. Mai 1950 kein Länderspiel verloren und eilte von Triumph zu Triumph. Mit dem Nimbus der Unbesiegbarkeit fuhr man in die Schweiz, um mit dem Titel des Weltmeisters zurückzukehren.

Ein paar Wochen vorher, am 23. Mai 1954, gewann man noch im Vorübergehen das groß angekündigte Rückspiel gegen die Engländer mit 7:1, und das auf eine spielerisch so grandiose Art und Weise, dass die Engländer „vom Hinterherlaufen einen Sonnenbrand auf der Zunge bekamen“, wie es einer ihrer Spieler plastisch ausdrückte. Mit seinem starren WM-System wusste das Mutterland des Fußballs wie alle anderen Gegner der „Pusztasöhne“ keine Antwort auf deren flexibles, offensiv angelegtes 4-2-4-System mit einem „wandernden Mittelstürmer“ in der Person von Nándor Hidegkuti, der sich immer wieder zurückfallen ließ, den Spielaufbau kontrollierte und die permanent rochierenden Stürmer einsetzte. Das englische Lehrbuch über das WM-System sah so etwas nicht vor, und so hatten sich die Spieler zu ihrem Verhängnis an die reine Lehre gehalten.

Am 4. Juli 1954 war alles gerichtet für den größten Triumph der ungarischen Sportgeschichte, der um 18:35 Uhr vollendet sein würde. Die Mannschaft hatte sich wie erwartet souverän durch das Turnier gespielt, auch wenn im Viertelfinale gegen Brasilien (4:2) und im Halbfinale gegen Titelverteidiger Uruguay (4:2 n.V.) viel Kraft gelassen wurde und Puskás aufgrund einer Verletzung, die ihm Werner Liebrich bei einem Foul im Vorrundenspiel gegen Deutschland (8:3) zugefügt hatte, nicht spielen konnte.

Wiedersehen im Jahr 1991: (v. links ) Gyula Grosics, Nándor Hidegkuti, Ferenc Puskás, Boxer Laszlo Papp, Zoltán Czibor, Jenö Buzanszky.
Quelle: Zoltán Czibor-Muzeum, Komarom

Als das Finale verloren war, herrschte Fassungslosigkeit in Ungarn. Aus der Goldenen Mannschaft war eine Silberne geworden, wertloses Metall. Verschwörungstheorien machten die Runde, aber erstmals kam öffentlich auch Wut gegen die Mannschaft hoch, die so lange als Kitt zwischen Volk und Regime gedient hatte. Von der Achtung zur Ächtung war es ein kurzer Weg. Die Wochen nach dem Desaster von Bern erscheinen im Rückblick als erstes Donnergrollen, bevor die Unzufriedenheit mit dem kommunistischen System im Aufstand von 1956 seinen Höhepunkt erreichte. Mit Repressalien gegen die Spieler versuchte die Partei einerseits die Enttäuschung über die vergebene Chance zu internationaler Reputation zu kompensieren, andererseits gegenüber dem Volk die Wogen zu glätten. Vorbei waren die Zeiten tolerierter Privilegien und gesellschaftlicher Überhöhung. Angst machte sich unter den Spielern breit, eine schlechte Voraussetzung, um mit neuen Erfolgen das Desaster von Bern vergessen zu machen.

Grabstätte von Gusztav Sebes: Budapest
Budafoki Temetö, Temetö utca 12 im Bezirk 22
Sektor 25/1; Urnengrab Nr. 95.
Grabstätte von Jeno Buzanszky: Budapest, St. Stephansbasilika Szent Istvan ter, Krypta.
Grabstätte von Gyula Grosics: Budapest, St. Stephansbasilika Szent Istvan ter, Krypta.
Grabstätte von Mihaly Lantos: Budapest
Friedhof Rakoskereszturi, Kozma utca im Bezirk 10,
Sektor 39; Reihe 9; Grab Nr. 1.
Grabstätte von Gyula Lorant: Endingen am Kaiserstuhl, Hauptfriedhof, Rempartstraße, 1. Grab rechts vor der Friedhofshalle.
Grabstätte von Jozsef Zakarias: Budapest
Friedhof Farkasreti, Nemetvölgyi utca 99 im Bezirk 12, Sektor 11/2; Reihe 1; Grab Nr. 247.
Grabstätte Zoltán Czibor:
Komarom, Temetö utca, Sektor G 12.
Grabstätte von Nándor Hidegkuti: Budapest,
Friedhof Obudai, Becsi utca 365 im Bezirk 3
Sektor 24; Reihe 1; Nr. 10.
Grabstätte von Jozsef Bozsik: Budapest
Friedhof Farkasreti, Nemetvölgyi utca 99 im Bezirk 12, Sektor 36; Reihe 1; Grab Nr. 55.
Grabstätte von Laszlo Budai: Budapest,
Friedhof Rakospalotai, Szentmihalyi utca 111 im Bezirk 15 Sektor 60; Reihe 12.
Grabstätte von Sándor Kocsis: Budapest, St. Stephansbasilika ,Szent Istvan ter, Krypta.
Grabstätte von Ferenc Puskás: Budapest, St. Stephansbasilika, Szent Istvan ter, Krypta.

Der Bazillus des Zerfalls erfasste die Goldene Mannschaft und zerstörte sie endgültig, als im November 1956 sowjetische Truppen dem ungarischen Volksaufstand ein brutales Ende bereiteten. Puskás, Kocsis und Czibor gingen ins Exil, womit der Mannschaft das Herz abhanden gekommen war. Während die drei Emigranten nach einer kurzen Sperre ihre Weltklasse in Barcelona und Madrid zeigen konnten, senkte sich vor die Zurückgebliebenen, von denen die meisten ebenfalls gut dotierte Angebote namhafter westlicher Clubs hatten, der Eiserne Vorhang.

Die „Wunde von Bern“ heilte nur langsam, bei einigen überhaupt nicht. „Jedes Jahr am 4. Juli denke ich daran und bekomme immer noch Schweißausbrüche“, bekannte Jenö Buzanszky. Trainer Gusztav Sebes hat sich die Niederlage nie verziehen. Als er 1986 im Krankenhaus auf den Tod wartete, besuchte ihn György Szepesi, der das Endspiel in Bern für das ungarische Radio übertragen hatte. Der gab später die letzten Worte des Sterbenden wieder: „Warum haben wir verloren?“ Es war für alle ein Alptraum, der immer wiederkehrte. Und als hätte jemand ein Drehbuch geschrieben, starben sechs Spieler sehr früh: Zakarias (47), Bozsik (52), Budai (54), Lorant (58), Lantos (61) erreichten nicht einmal das Rentenalter. Kocsis beging mit 47 Jahren Selbstmord.

„Warum haben wir verloren?“

Ungarns Fußball hat sich von der Niederlage im regnerischen Bern des 4. Juli 1954 nie mehr erholt, während in Deutschland diesem Tag eine hohe Bedeutung für die gesellschaftliche, ökonomische und auch fußballerische Entwicklung der jungen Bundesrepublik beigemessen wird.

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