Ferenc Puskás

Der entwurzelte Pusztasohn

Biografie
Geboren am: 2.4.1927 in Budapest
Gestorben am: 17.11. 2006 in Budapest
Grabstätte: Budapest, St.-Stephans-Basilika
Szent Istvan ter, Krypta
Stationen der Karriere als Spieler
Position: Stürmer
Vereine: Kispest/Honved Budapest (1939-1956)
Real Madrid (1958-1966)
84 Länderspiele für Ungarn (1945-1956); 83 Tore
4 Länderspiele für Spanien (1961-1962); 2 Tore
Olympiasieger 1952
WM-Teilnehmer 1954, 1962
Vizeweltmeister 1954
Mitglied der „Goldenen Mannschaft“
Ungarischer Meister 1950, 1952, 1954, 1955
Spanischer Meister 1961, 1962, 1963, 1964, 1965
Europapokalsieger der Landesmeister 1960
Stationen der Karriere als Trainer
Vereine: Hercules Alicante (1967)
Vancouver Royals (1967)
San Francisco Gales (1967-1968)
CD Alaves (1969)
Panathinaikos Athen (1970-1974)
Colo Colo Santiago (1974-1976)
Nationalmannschaft Saudi-Arabien (1976-1977)
Real Murcia (1977)
AEK Athen (1978-1979)
Al Masri Kairo (1979-1984)
Sol de America, Paraguay (1985)
Cerro Porteno, Paraguay (1986)
FC Olimpia, Paraguay (1987)
Panhellenic Melbourne (1988-1991)
Nationalmannschaft Ungarn (1993)

Wien, 4. November 1956. In einem Hotel in der Mariahilferstraße verfolgen einige Spieler von Honved Budapest im Fernsehen, wie die Rote Armee beginnt, dem seit einigen Wochen andauernden Volksaufstand in ihrer Hauptstadt ein Ende zu bereiten.

Die Mannschaft von Honved – damals eine der besten Mannschaften der Welt -war von einer lukrativen Auslandstournee, die sie bis nach Südamerika geführt hatte, zurückgekehrt und machte in Wien Station, um die Auswirkungen des Aufstands zu beobachten. Puskas saß in einem Zimmer zusammen mit Czibor, Grosics, Kocsis und Bozsik. „ Was sollen wir machen? Zurückkehren“?
Eine schicksalhafte Entscheidung stand an. Dem Patriotismus oder dem Freiheitsdrang und lukrativen Verträgen bei den Top-Clubs in West-Europa zu folgen? Die Erfahrung mit den Repressionen und Anfeindungen nach dem verlorenen WM-Finale 1954 steckte vielen Spielern noch in den Knochen. Puskas, Czibor und Kocsis entschieden, das Land zu verlassen. Grosics, Bozsik und die anderen Spieler hingegen beschlossen, nach Ende des Aufstandes nach Ungarn zu ihren Familien zurückzukehren.

Die Abtrünnigen wurden auf Druck des ungarischen Fußballverbandes von der FIFA mit langen Sperren belegt, so Puskás für zwei Jahre, weil man ihn als Major der Volksarmee der Fahnenflucht bezichtigte. Das Aushängeschild der „Goldenen Mannschaft“ verbrachte die nächsten Monate im Wiener Exil. Ohne seinen Fußball befiel ihn eine innere Leere, die er mit dem unmäßigen Genuss von Wurst und Buttercreme bekämpfte; bald hatte der Körper des mittlerweile Dreißigjährigen einen Umfang, der nicht mehr dem eines Leistungssportlers entsprach. Aber die europäischen Spitzenvereine hatten ihn nicht vergessen. Real Madrid machte das Rennen. Mit einem gut dotierten Vertrag ausgestattet, schlüpfte Puskás, nachdem er achtzehn Kilo abgespeckt hatte, Ende 1958 in die weiße Kluft der „Königlichen“. Er, der Superstar aus dem Osten, arrangierte sich mit Alfredo di Stefano, dem Führungsspieler Reals. „Ich habe ihm gesagt, du bist der General, und ich bin dein Soldat“, steckte „Pancho“, wie ihn die Madrilenen nannten, freiwillig zurück. Di Stefano und Puskás bildeten fortan ein Offensivgespann, das in Spielweise und Erfolgen in Europa seinesgleichen suchte.

Puskás wurde am 2. April 1927 als Sohn eines deutschstämmigen Donauschwaben im Budapester Arbeiterviertel Kispest geboren. Zunächst hieß er Franz Purzfeld, bis der Vater den ungarischen Nachnamen Puskás annahm. Übrigens auch die Väter von Sandor Kocsis, geboren als Alexander (Schandi) Wagner oder Nandor Hidegkuti, geboren als Ferdinand Kaltenbrunner. Allein der Name Nandor Hidegkuti ist ein sprachliches Konstrukt, das dem der Italiener nicht nachsteht, als die die Südtiroler Gemeinden und Städte nach 1918 namentlich italienisierten. Aus Sterzing wurde Vipiteno. Witzig! Die Ungarn waren wesentlich kreativer. Hideg heisst kalt. Kut heißt Brunnen. Ein leichtes i zum Abschluss. Hidegkuti. Kalter Brunnen. Und aus dem kleinen Ferdinand wurde ein Nandor.

Klein, etwas pummelig, aber mit einem großartigen linken Fuß ausgestattet, rückte Ferenc Puskas, genannt „Öczi“ (deutsch: Bürschchen), bereits mit 16 Jahren in die erste Mannschaft des AC Kispest. Sein Debüt in der Nationalmannschaft am 20.8.1945 gegen Österreich war der Beginn einer Karriere ohnegleichen, die ihn zum Liebling der Massen machte, unantastbar selbst im stalinistisch geführten Ungarn. 1949 wurde sein Verein AC Kispest in „Honved“ (deutsch: Heimatverteidigung) Budapest umbenannt und dem Verteidigungsministerium unterstellt. Das Gleiche geschah mit dem MTK Budapest, dem man den neuen Namen Vörös Lobogo (deutsch: Rotes Banner) gab und dem Geheimdienst zuordnete. Die bewaffneten Staatsorgane konzentrierten nach sozialistischem Vorbild alle Nationalspieler bis auf einen (Jenö Buzanszky) in diesen beiden Clubs, um eine eingespielte Nationalmannschaft aufzubauen. Das Experiment gelang, auch weil Ungarn zu dieser Zeit eine Fülle von Ausnahmetalenten besaß.

Die „Goldene Mannschaft“ dominierte in den nächsten Jahren den europäischen Fußball in Spielkunst, Taktik und individueller Brillanz, und die Nationalspieler wurden zu beliebten Figuren der kommunistischen Propaganda als lebende Beispiele für die entfesselten Potenziale des Proletariats. Allen voran Ferenc Puskás! Bis zum Desaster am 4. Juli 1954 im Berner Wankdorfstadion, als der scheinbar sichere WM-Titel verspielt wurde.

Die maßlos enttäuschte ungarische Öffentlichkeit fällte ein schnelles Urteil. Vor allem Puskás war schuld: Nicht fit, Alkohol und Frauen im WM-Quartier in Solothurn, nicht zu vergessen seine deutschen Wurzeln! Es musste halt ein Sündenbock her. Dabei hatte Puskás im Endspiel zwar nicht so großartig wie sonst gespielt, aber trotz nicht ganz ausgeheilter Verletzung aus dem Vorrundenspiel gegen Deutschland (8:3) einen respektablen Auftritt hingelegt und auch ein Tor erzielt. Nach der Rückkehr schlug die öffentliche Bewunderung in Bitterkeit und Feindseligkeit um. Die Anfeindungen trafen Puskás sehr. Seine Motivation nahm ab, der Bauchumfang zu. Sein spielerisches Niveau sank, sofern er überhaupt spielte. Erst vier Jahre später, 1958, zeigte er bei Real Madrid wieder sein einzigartiges Können.

Grabstätte von Ferenc Puskás:
Budapest, St.-Stephans-Basilika, Szent Istvan ter, Krypta.

Ein roter Faden zieht sich durch Puskás’ Karriere: Bis auf das Finale der Landesmeister 1960 im Hampden-Park von Glasgow, in dem Real Madrid nicht zuletzt dank vier Puskás-Toren gegen Eintracht Frankfurt mit 7:3 siegte, hat er kein großes Endspiel gewonnen. Entweder hatten die Gegner an diesem Tag eine Sternstunde, oder er saß auf der Bank oder war verletzt. Als besonders bitter erlebte er die Niederlage im Landesmeisterfinale 1962 in Amsterdam gegen Benfica Lissabon, als Real trotz eines Hattricks von Puskás in der ersten Halbzeit in einem dramatischen Spiel mit 3:5 unterging. Spätestens jetzt war das Ende der großen Ära des „weißen Balletts“ und des genialen Duos Alfredo di Stefano und Ferenc Puskás gekommen. Der Journalist Hans Blickensdörfer schrieb: „Eine starke Offensive, hungrig, selbstsicher und hoch motiviert von Kopf bis Fuß, zerstörte die ,königliche Allianz’.“ An diesem Tag ging der Stern von Eusebio, sechzehn Jahre jünger als Puskás, an Europas Fußballhimmel auf, die Wachablösung hatte stattgefunden. Selbst als Trainer wurde Puskás den Fluch der verlorenen Endspiele nicht los. In seinem wichtigsten Spiel unterlag er mit Panathinaikos Athen am 2. Juni 1971 im Finale des Europacups der Landesmeister gegen Ajax Amsterdam mit 0:2.

Das weiße Ballett: Raymond Kopa, Hector Rial, Alfredi Di Stefano, Ferenc Puskas und Francisco Gento v.l.

1981 betrat Ferenc Puskás nach fünfundzwanzig Jahren Heimatlosigkeit wieder ungarischen Boden, aber er blieb nicht. Es zog ihn noch einmal in die Welt hinaus, nach Ägypten, Südamerika und Australien, bis er 1992 endgültig in seine Heimatstadt zurückkehrte und 1993 für ein paar Monate die ungarische Nationalmannschaft trainierte.

Einige Jahre später erkrankte er an Alzheimer. Als die UEFA die Spieler der legendären Mannschaften von Real Madrid (1955-1966) zum Champions-League-Finale 2002 in Glasgow zwischen Real Madrid und Bayer Leverkusen einlud, kam es zur letzten Begegnung zwischen Puskás und seinen großen Mitspielern. Aber als Alfredo di Stefano gewahr wurde, dass ihn sein kongenialer Partner nicht mehr erkannte, schloss er sich weinend in seinem Zimmer ein und blieb den Fotoaufnahmen der Veteranen fern.

Ferenc Puskás ging auf eine lange Reise, die anders war als die, die ihn als Spieler und Trainer durch die Welt führte. Am 17. November 2006 endete sie im Budapester Krankenhaus Kutvölgyi. In Ungarn herrschte Staatstrauer, als Ferenc Puskás am 9. Dezember 2006 nach einer Trauerfeier in dem heute seinen Namen tragenden Nep-Stadion anschließend in der Budapester Stephans- Basilika, der schönsten und größten Kirche Ungarns, neben den ungarischen Königen beigesetzt wurde.

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