Oldrich Nejedly

Der gläserne Knochen

Biografie:
Geboren am 26.12.1909 in Zebrak (Österreich-Ungarn)
Gestorben am 11.6.1990 in Rakovnik
Grabstätte: Zebrak (zwischen Prag und Pilsen)
Hradni: Kostel svateho Rocha
Eingang links von Kirche, 3. Reihe rechts, Grab Nr. 5
 
Stationen der Karriere als Spieler:
Position: Halbstürmer
Vereine: Cechoslowan Kosire (1924-1925)
Spartak Zebrak (1925-1926)
SK Rakovnik (1926-1931)
Sparta Prag (1931-1941)
SK Rakovnik (1941-1950)
 
391 Tore in 421 Liga-und Pokalspielen für Sparta Prag
43 Länderspiele (1931-1938) für die Tschechoslowakei; 28 Tore
1 Länderspiel für Böhmen und Mähren; 1 Tor
WM-Teilnehmer 1934 und 1938
WM-Torschützenkönig 1934 (5 Tore)
Tschechoslowakischer Meister 1932/1936/1938/1939

Die Vita von Oldrich Nejedly ist ein Spiegelbild der Irrungen und Wirrungen in Mittel- und Osteuropa im 20. Jahrhundert, insbesondere durch die beiden Weltkriege. Nejedly wurde in Bettlern, einer kleinen Stadt zwischen Prag und Pilsen, am zweiten Weihnachtstag 1909 geboren. Der böhmische Ort war zu diesem Zeitpunkt noch Territorium der kaiserlichen und königlichen Monarchie Österreich-Ungarn. Nach dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) wurde dann im Vertrag von Trianon/Versailles am 4. Juni 1920 das ehemalige von Wien beherrschte k. und k. Weltreich zerschlagen. Oldrich Nejedly war nun Tschechoslowake, aus Bettlern wurde nun Zebrak, aber nur bis zum 30. September 1938. Denn in den Prager Frühnachrichten konnte Nejedly hören, dass sein Geburtsort wieder Bettlern heißen würde und erneut deutsch sei. In München hatten die Staatschefs Hitler (Deutschland), Mussolini (Italien), Daladier (Frankreich)und Chamberlain (Großbritannien) ohne Teilnahme tschechoslowakischer Gesandter die Abtrennung des Sudetenlandes von der Tschechoslowakei beschlossen und die Integration (bis zum 10. Oktober 1938) dieser böhmisch/mährischen Region in das neue „Großdeutschland“ (Deutschland und Österreich) legitimiert. Am 15. März 1939 kam es noch schlimmer. Deutschland besetzte die gesamte Tschechoslowakei.

Nejedlys großer Auftritt erfolgte bei der Fußball-WM 1934 in Italien. Die verhieß politisch und sportlich im Vorfeld nichts Gutes. Denn seit dem 30. Oktober 1922 regierten die Faschisten unter Benito Mussolini den Stiefel Europas. In Deutschland waren am 30. Januar 1933 die Nationalsozialisten an die Macht gekommen. Spanien steuerte auf einen Bürgerkrieg zu. Europa taumelte politisch. Und eines war klar. Der WM-Titel gehörte nach Mussolinis Machtanspruch in das Gastgeberland. Es wurde alles getan, diesen Triumph zu ermöglichen. Im Halbfinale gegen Deutschland in Rom siegte die Tschechoslowakei mit 3:1. Alle drei Tore für das Nachbarland, in dem als Relikt der Habsburgerzeit (bis 1919) eine große deutschsprachige Bevölkerung lebte, erzielte Nejedly. Die Deutschen liefen im Stechschritt auf den Platz und zeigten beim Abspielen ihrer Nationalhymne mit dem Text der ersten Strophe „Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt“ den Hitlergruß. Das gefiel dem auf der Ehrentribüne sitzenden „Duce“ Benito Mussolini.

Man konnte1934 nicht erahnen, was den Halbfinalisten Italien, Österreich, Tschechoslowakei und Deutschland einige Jahre später bevorstand. Fußballerisch gehörten alle vier Länder zu den Turnierfavoriten. Uruguay hatte als Titelverteidiger auf die Teilnahme verzichtet, eine Revanche dafür, dass nur vier europäische Nationen (Frankreich, Jugoslawien, Rumänien und Belgien) am ersten WM-Turnier 1930 in Uruguay teilgenommen hatten. Das machte es den Spitzenmannschaften scheinbar leichter, Weltmeister zu werden. Denn Uruguay war zu dieser Zeit eine Weltmacht im internationalen Fußball. Italien musste Weltmeister werden, das war den Teams, die sich für das Turnier 1934 anmeldeten, klar. Zumal Mussolini an den Tagen vor wichtigen Spielen Telegramme ins Mannschaftsquartier der italienischen Mannschaft schickte: „Siegen oder Sterben“. In Kopie waren vermutlich auch die jeweils angesetzten Schiedsrichter.

Den Höhepunkt der beschämenden Schiedsrichterentscheidungen zu Gunsten des Gastgebers brachte das Finale zwischen Italien und der Tschechoslowakei am 10. Juni 1934 im Stadio Nazionale del Partito Nazionale Fascista in Rom. Der schwedische Schiedsrichter Ivan Eklind war nicht so neutral, wie man das den Schweden unterstellt. Der Referee pfiff im Sinne Mussolinis. In allen historischen Überlieferungen dieser WM 1934 ist Eklind die Inkarnation der Bestechlichkeit und Einseitigkeit zugunsten des Bestechenden. John Langenus, der renommierteste Schiedsrichter der 30er Jahre und Schiedsrichter des WM Finales 1930 in Montevideo zwischen Uruguay und Argentinien war auch Referee und zudem Journalist in Italien. In seiner Kolumne für den deutschen „Kicker“schrieb er: „Abgesehen von dem Wunsch, das Turnier zu gewinnen, waren alle anderen sportlichen Überlegungen beim Gastgeber nicht existent. Über dem gesamten Wettbewerb brütete ein gewisser Geist. Die Italiener wollten gewinnen, was natürlich war, aber sie gaben dies deutlich zu erkennen.“Mit zeitlichem Abstand nannte Langenus das Turnier „das größte Sportfiasko aller Zeiten.“

Zu einem guten Turnier gehören auch schlechte Schiedsrichter. Im Sinne Kafkas ist der Schiedsrichter die unnahbare Vaterfigur, an deren Verständnis der Sohn niemals appellieren kann. Er ist der voreingenommene Richter, der sadistische Finanzbeamte, der pedantische Verkehrspolizist, der unnachgiebige Fahrkartenkontrolleur. Ohne die Schiedsrichter wäre der Fußball transparent und gerecht. “Kill the Referee“!

Italien wurde mit einem 2:1 n.V. Weltmeister, und Oldrich Nejedly mit fünf Toren in vier Spielen ab dem Achtelfinale (es gab noch keine Vorrunde) der „Capocannoniere Mondiale“ dieser WM. Wenigstens das blieb der Tschechoslowakei als Genugtuung.

Die Mannschaft der Tschechoslowakei vor dem WM-Finale am 10. Juni 1934 in Rom gegen Italien. Links Frantisek Planicka, 5. von links Oldrich Nejedly

Nejedly war nun ein bekannter Fußballer und erneut Stammspieler der Tschechoslowakei bei der Fußball-WM im Juni 1938 in Frankreich, am Vorabend des zweiten Weltkriegs. Am 12. März 1938 hatte Deutschland das Nachbarland Österreich annektiert. „Heim ins Reich geholt“, wie es hieß.. Das hatte Auswirkungen auf die beiden Nationalmannschaften, die jede für sich die Perspektive hatte, Weltmeister zu werden. Reichstrainer Sepp Herberger erhielt den Auftrag des DFB-Präsidenten Felix Linnemann (auf Befehl aus Berlin), eine neue Nationalmannschaft zu bilden, die paritätisch mit Spielern aus Deutschland und Österreich zu besetzen sei.“ Herr Herberger, leben Sie denn auf dem Mond? Der Führer wünscht eine 6:5 oder 5:6 Mischung aus österreichischen und deutschen Nationalspielern.“ Herberger war verzweifelt angesichts der Aufgabe, innerhalb von drei Monaten eine Mannschaft zusammen zu stellen, deren Spieler sich zum Teil gar nicht kannten und von denen einige nicht in dieser Mannschaft spielen wollten, zum Beispiel Matthias Sindelar, der begnadete Spielmacher Österreichs. Wiener Melange und Donauwalzer gemischt mit Berliner Bulette und Marschmusik. Das konnte nicht gut gehen.

Die Mannschaft trat unter dem Namen Deutschland an und schied schon in der ersten Runde der WM gegen die Schweiz aus. Die Tschechoslowakei mit Nejedly und Torwart Frantisek Planicka schaffte es immerhin ins Viertelfinale gegen Brasilien. Im ersten Spiel (1:1 n.V) hatte sich Planicka den Arm gebrochen, im Wiederholungsspiel (2:1 für Brasilien ) brach sich Nejedly ein Bein. Sein Handicap war sein schwacher Körperbau bei 1,74 m Größe und 74 Kilo Lebendgewicht. Hinzu poröse Knochen, wahre Glasknochen, sodass Beinbrüche zu seinen Wegbegleitern wurden. Er mied direkte Zweikämpfe. Nejedlys Erfolg basierte auf Technik, gutem Stellungsspiel und dem so wichtigen Torinstinkt. Er ähnelte Just Fontaine aus Frankreich, der 1958 mit 13 Toren Torschützenkönig der WM in Schweden wurde und auch nur 1,74 m groß war. Sogar in den Beinbrüchen hatten sie eine Gemeinsamkeit. Sie trafen im Strafraum auf viele Äxte, und das ging häufig für die beiden Stürmer unvorteilhaft aus. Nichtsdestotrotz hat Nejedly immerhin noch zwei Tore im Turnier 1938 erzielt und steht mit sieben Toren im Ranking der besten WM-Torschützen gemessen an der Zahl der Spiele weit oben.

Rund drei Monate nach der WM kam es zum Abkommen von München und im März 1939 zur Zerschlagung der Tschechoslowakei. Aus den tschechichen Landesteilen wurde das „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“ unter nationalsozialistischer Herrschaft und die Slowakei verkam zum Satellitenstaat. Oldrich Nejedly spielte weiter bei Sparta Prag und dem SK Rakavnik nahe seinem Geburtsort. Aber es gab keine Nationalmannschaft mehr.

München, 30. September 1938. Nach der Unterzeichnung des Abkommens. V.l. Neville Chamberlain, Edouard Daladier, Adolf Hitler, Benito Mussolini

Nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 folgte die bleierne Zeit der neuen Tschechoslowakei als sowjetischer Satellitenstaat. Rund drei Millionen Menschen aus den Deutsch-Ethnischen Siedlergebieten Böhmens und Mährens wurden nach Kriegsende 1945 vor allem nach Bayern, Sachsen, Thüringen und Österreich vertrieben.

Oldrich Nejedly blieb, aber viele seiner Freunde waren nicht mehr da, ähnlich den Erlebnissen von Josef Masopust (siehe Einzelporträt). 1956 beendete Nejedly seine Laufbahn mit 47 Jahren bei seinem Heimatverein Sparta Zebrak. Nach einem einfachen Leben in der Provinz erlebte er noch die „samtene Revolution“. Drei Tage nach Vaclav Havels Sieg (8. Juni 1990) bei den ersten freien Parlamentswahlen seit der Neugründung der Tschechoslowakei 1945 verstarb er in Zebrak.

Oldrich Nejedly verbrachte danach ein einfaches Leben in der Provinz. Die „samtene Revolution“ erlebte er noch. Ende Dezember 1989 brach das Sowjetimperium zusammen und in Prag wurde der Schriftsteller und Bürgerrechtler Vaclav Havel zum Staatspräsidenten gewählt. Am 8. Juni 1990 fanden die ersten freien Parlamentswahlen der Tschechoslowakei seit 1945 statt. Es siegte das Bürgerforum rund um Vaclav Havel. Drei Tage später verstarb Oldrich Nejedly.

Seine Lebensgeschichte ist die eines Menschen, der ein Nationalheld war, aber nie wissen konnte, welcher Nation er in der nächsten Zeit angehören würde. Die Teilung der Tschechoslowakei am 1. Januar 1993 in die neuen Staaten Tschechien und Slowakei hat er nicht mehr erlebt. Es war gut so. Die erneute Zerstückelung seiner Heimat wollte der liebe Gott ihm nicht antun und berief ihn in den Himmel der Fußball-Legenden. Da traf er alle wieder von 1934. Guiseppe Meazza (Italien), Fritz Szepan (Deutschland), seinen Freund Frantisek Planicka von Slavia Prag und dessen kongenialen Torhüterkollegen Ricardo Zamora (Spanien). Den Schiedsrichter Ivan Eklind werden sie wohl negiert haben, außer Guiseppe Meazza natürlich.

Welch schöne Fußballzeiten hätten sie haben können ohne diese Zeitläufte, die Europa aus den Angeln hoben und 1945 im Chaos endeten.

Grabstätte: Zebrak Hradni: Kastel Svateho Rocha

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