Matthias Sindelar

Der Papierne

Biografie
Geboren am: 10.2.1903 in Kozlau
bei Iglau/Mähren
Gestorben am: 23.1.1939 in Wien
Grabstätte: Wien
Zentralfriedhof
Simmeringer Hauptstraße 234 im 11. Bezirk
Tor II, nach 50 m rechts in Allee hinter der
Verwaltung,
nach 100 m linke Seite
Gruppe 12 b; Reihe 3; Nr. 11
Stationen der Karriere als Spieler
Position: Mittelstürmer
Vereine: Hertha Wien (1912-1924)
FK Austria Wien (1924-1939)
43 Länderspiele (1926-1937); 27 Tore
WM-Teilnehmer 1934
Mitglied des „Wunderteams“
Österreichischer Meister 1927
Österreichischer Pokalsieger 1925, 1926,
1933, 1935, 1936

Wenigen europäischen Fußballern wurde schon zu Lebzeiten ein poetisches Denkmal gesetzt. Einer davon war Matthias Sindelar, Österreichs wohl bedeutendster Fußballer aller Zeiten. In seiner Ballade „Auf den Tod eines Fußballspielers“ widmete der jüdische Schriftsteller Friedrich Torberg dem „Papiernen“, wie man den eleganten, fast zerbrechlich wirkenden Mittelstürmer der Wiener Austria nannte, eine literarische Hommage.

„Er war ein Kind aus Favoriten / und hieß Matthias Sindelar. / Er spielte Fußball wie kein Zweiter, / er stak voll Witz und Phantasie, / er spielte lässig, leicht und heiter, / er spielte stets, er kämpfte nie. / Er war gewohnt zu kombinieren, / und kombinierte manchen Tag. / Sein Überblick ließ ihn erspüren, / dass seine Chance im Gashahn lag.“

Matthias Sindelar starb am 23. Januar 1939, nur 35 Jahre alt, gemeinsam mit seiner jüdischen Lebensgefährtin Camilla Castagnolla unter bis heute nicht endgültig geklärten Umständen in seiner Wohnung in der Annagasse 3. Der Polizeibericht vermerkte lediglich „Tod durch das Einatmen von Kohlenmonoxyd aufgrund eines defekten Ofens“.

Das schuf eine Glorifizierung, die erst vor wenigen Jahren kritisch hinterfragt wurde. Sindelar hatte wohl von der seit April 1938 beginnenden Arisierung jüdischen Eigentum profitiert und erwarb 1938 das Wiener Cafe „Annahof“ im Stadtteil Favoriten, Ecke Dampfgasse/Laxenburger Strasse. Daraus wurde das „Kaffeehaus Sindelar“. Der vormalige jüdische Besitzer Leopold Drill kam im KZ Theresienstadt um. Aber Indizien deuten darauf hin, daß Sindelar trotz dieser scheinbaren Vorteilsannahme eine sehr distanzierte Grundhaltung gegenüber den neuen Machthabern eingenommen haben soll. Die Akten gingen im Krieg verloren.

Matthias Sindelar vor seinem Kaffeehaus 1938
Quelle Foto: FK Austria Wien Museum

Mit dem Tod von Sindelar endete nicht nur die Ära eines großartigen Fußballers. Sein früher Tod stand für mehr. Der Literat Alfred Polgar schrieb: „Der brave Sindelar folgte der Stadt, deren Kind und Stolz er war, in den Tod.“ Denn am 13. März 1938 hatten die Nationalsozialisten Österreich in einem Gewaltakt dem Deutschen Reich, dem sogenannten Altreich, angeschlossen. Das politische Leben veränderte sich dramatisch und in der Folge auch die Lebensumstände des Matthias Sindelar.

Geboren wurde er am 10. Februar 1903 im mährischen Dörfchen Kozlau nahe Iglau, das damals zum österreichisch-ungarischen Kaiserreich gehörte. Bald danach siedelte die Familie nach Wien über. Dort wuchs Sindelar im Stadtteil Favoriten auf, einem Anlaufpunkt der böhmisch-mährischen Auswanderer, die in den Ziegelwerken der boomenden Donaumetropole Arbeit fanden. Sein Vater fiel 1917 im Ersten Weltkrieg an der italienischen Front, in einer der furchtbaren Schlachten am Isonzo in den Julischen Alpen.

Sindelars fußballerischer Weg steht exemplarisch für den Erfolg des Wiener Straßenfußballs, das „Scheiberln“, für den Siegeszug des österreichischen „Wunderteams“ ab 1931 und für die verhängnisvolle Zwangsvereinigung des deutsch-österreichischen Fußballs nach der Annexion Österreichs durch Deutschland 1938. Der „Papierne“ spielte zeitlebens nur für zwei Vereine: zunächst beim Favoritener Club Hertha, dann beim Wiener Amateur-Club (WAC), dem Vorläufer von Austria Wien, wohin ihn die Hertha 1924 wegen finanzieller Schwierigkeiten verkaufen musste. Dort spielte er bis zu seinem Tod 1939.

Grabstätte von Matthias Sindelar:
Wien, Zentralfriedhof, Simmeringer Hauptstraße 234 im 11. Bezirk, Tor II, nach 50 m rechts in Allee hinter der Verwaltung, nach 100 m linke Seite, Gruppe 12 b; Reihe 3; Nr. 11.

Hier zog der „Mozart des Fußballs“ die Fäden als genialer Spielgestalter und wirkte trotz seines geringen Gewichts von 69 Kilo als effizienter, erfolgreicher Torschütze. Seine fußballerischen Darbietungen wurden in der Wiener Kulturszene mit der gleichen Kennerschaft diskutiert wie die Aufführungen in der Staatsoper oder am Burgtheater.

Legendär ist sein kongeniales Verhältnis zum österreichischen Nationaltrainer Hugo Meisl, der sich anfangs weigerte, diesen extravaganten, aber unberechenbaren Techniker in der Nationalmannschaft einzusetzen, bis ihn der öffentliche Druck zwang, Matthias Sindelar beim Länderspiel am 16. Mai 1931 gegen das starke Schottland zu berücksichtigen. Das Spiel gilt als die Geburtsstunde des „Wunderteams“, das unter der Regie von Sindelar in den Folgejahren Weltspitze darstellte und Europas Fußballfans begeisterte. Der „Papierne“ wurde Meisls verlängerter Arm als Spielstratege und Vollstrecker, und die gleiche Kunst zeigte er mit seiner Austria, die er an die Spitze der europäischen Topvereine führte. Das Ende seiner großen Karriere nahte mit dem Anschluss Österreichs an Deutschland, als die Fußballgroßmacht Österreich über Nacht von der Bildfläche verschwand.

„Er war ein Kind aus Favoriten“

Aber Adolf Hitler verschaffte Sindelar ungewollt noch einen großen Auftritt. Das vom „Führer“ drei Wochen nach dem „Anschluss“ verordnete Spiel „Deutsch-Österreich gegen Deutschland“ am 3. April 1938 im Wiener Prater-Stadion endete mit einem souveränen 2:0 für das sogenannte „Deutsch-Österreich“ durch Tore von Matthias Sindelar und Karl Sesta.

In den folgenden Monaten versuchte Sepp Herberger den von ihm hochgeschätzten Sindelar als Spielgestalter für die bevorstehende WM in Frankreich zu gewinnen. Der aber entzog sich der Zwangsvereinigung mit dem Hinweis auf sein Alter von mittlerweile 35 Jahren, das es ihm nicht mehr erlaube, auf höchstem Niveau zu spielen. Im privaten Kreis aber äußerte er: „Ich werde nie für dieses Gebilde, das sich Deutschland nennt und Europa frisst, spielen.“ Sein letztes Spiel bestritt er am 26.12.1938 in Berlin: Mit einem 2:2 seiner Austria, jetzt „Sportclub Ostmark“ genannt, gegen Hertha BSC und einem Tor verabschiedete sich Matthias Sindelar von Europas Fußballbühnen.

Als er am 28. Januar 1939 auf dem Wiener Zentralfriedhof in einem Ehrengrab der Stadt Wien beigesetzt wurde, trug seine Heimatstadt Trauer. 15.000 Menschen gaben ihm das letzte Geleit.

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