Werner Kohlmeyer

Der Clochard ohne Grabstein

Biografie:
Geboren am: 19.10.1924 in Kaiserslautern
Gestorben am: 26.3.1974 in Mainz
Grabstätte: Kaiserslautern
Hauptfriedhof
Donnersbergstraße 78
Das Grab wurde aufgelassen (neu: Laura Ulmer)
Feld 27; 2. Reihe von oben; Nr. 60
Stationen der Karriere als Fußballer:
Position: Linksverteidiger
Vereine: 1. FC Kaiserslautern (1940-1957)
FC Homburg/Saar (1957-1959)
SB Bexbach (1959-1960)
22 Länderspiele (1951-1955)
Weltmeister 1954
Deutscher Meister 1951, 1953

„Der Werner hat eine salzige Leber, der verträgt das.“ Nur mit wenigen Spielern ging Sepp Herberger so nachsichtig um, wenn es um ein zweites Bier oder eine heimlich gerauchte Zigarette ging. Kohlmeyer dankte es ihm, indem er zum besten Stellvertreter von Toni Turek bei der Fußballweltmeisterschaft 1954 wurde. Dreimal klärte er in den Spielen gegen Jugoslawien und im Endspiel gegen Ungarn für seinen bereits geschlagenen Torhüter auf der Linie und leistete damit einen entscheidenden Beitrag zum Gewinn des Titels.

Kohlmeyer hatte den Krieg an der russischen Front überlebt, sein volles, kräftiges Gesicht trug lediglich eine Narbe an der Nase als Folge eines Streifschusses. Er war ein hochbegabter Sportler, nicht nur als Fußballer, sondern auch als Leichtathlet. Seinen Weg machte er aber als Abwehrspieler beim 1. FC Kaiserslautern, der stärksten deutschen Mannschaft zu Beginn der 50er Jahre, mit der er zwei Deutsche Meisterschaften gewann. Er war schnell, zweikampf- und kopfballstark und zudem ein glänzender Abwehrorganisator. Ganz anders sein Verhalten im Privatleben: kantig, eigenbrötlerisch, labil, phlegmatisch.

Aber in der Nationalmannschaft fühlte er sich wohl, denn Herberger schätzte ihn als Spieler und ging fürsorglich mit ihm um. Kohlmeyer war von 1951 an eine Konstante als Linksverteidiger in Herbergers Abwehrsystem, auch bei der WM in der Schweiz, wo er bis zum Endspiel gewohnt solide spielte. Im Finale hingegen zeigte er zu Beginn plötzlich Schwächen. Der ungarische Trainer Sebes ließ seinen etatmäßigen Linksaußen Czibor für alle überraschend über den rechten Flügel angreifen. Mit dem kam Kohlmeyer anfangs überhaupt nicht zurecht und machte Fehler, die mit zu den beiden Führungstoren der Ungarn durch Puskás und Czibor führten. Dann stellte Herberger in der Halbzeit um, ließ Posipal gegen Czibor spielen und beorderte Kohlmeyer auf die rechte Abwehrseite gegen Mihaly Toth. Mit dem kam Kohlmeyer besser zurecht und gewann seine Sicherheit zurück. Seine spektakulären Rettungsaktionen in der zweiten Halbzeit sicherten den unerwarteten WM-Triumph. Nach der Rückkehr schwamm der „Held von Bern“ auf einer Woge der Begeisterung, die ihm die Bevölkerung entgegenbrachte. Dabei ging ihm das Pflichtbewusstsein als gelernter Lohnbuchhalter verloren. Disziplin und Ehrgeiz des Spitzensportlers kamen ihm beim ausgelassenen Feiern und Kartenzocken abhanden. Er machte nur noch vier Länderspiele, das letzte im März 1955 gegen Italien. Erich Juskowiak, eine andere tragische Figur des deutschen Spitzenfußballs jener Jahre, übernahm Werner Kohlmeyers Position in der Nationalmannschaft.

Werner, trink emol“

Kohlmeyer wurde arbeitslos und verschuldete sich. Der Alkohol wurde sein Wegbegleiter auf die untere Ebene des menschlichen Daseins. „Werner, trink emol“, wurde er häufig im Dialekt seiner Pfälzer Heimat aufgefordert, und „mit jedem Glas“, sagte Kohlmeyer einmal, „wirst du noch mal Weltmeister.“ Herberger und Fritz Walter, immer rührend um das Wohlergehen ihrer „Schäfchen von Bern“ bemüht, versuchten viel, den freien Fall ihres haltlosen Spielers aufzuhalten. Der aber entzog sich allen Hilfsangeboten, und als Sepp Herberger im März 1967 seinen 70. Geburtstag feierte, fehlte Kohlmeyer als einziger Weltmeister. Eine Version lautet, er sei nicht eingeladen gewesen, die andere, dass er nicht auffindbar war. Letztere wird wohl zutreffen, denn mittlerweile führte er fast das Leben eines Clochards, existierte am Rande des Existenzminimums und verdingte sich gelegentlich als Hilfsarbeiter auf dem Bau.

Triumph…
… und Tragödie.

Die letzten Jahre kam etwas Stabilität in sein Leben. Ein befreundeter Sportredakteur verschaffte ihm eine Stelle als Pförtner eines Mainzer Verlages. Privat gab ihm seine Verlobte Stabilität, er trank kaum noch. Aber seine physische und psychische Kraft war verlorengegangen. Als hätte jemand Regie in einem Film über „Die Tragödie eines Fußballspielers“ geführt, machte ein Vorkommnis Kohlmeyer deutlich, dass er als „Held von Bern“ längst vergessen war. Er wollte sich das Länderspiel Deutschland gegen Schottland am 27. März 1974 in Frankfurt – kurz vor Beginn der Fußball-WM in Deutschland – anschauen und wandte sich an den DFB, um Ehrenkarten zu erhalten. Das wäre gegenüber seinen Verwandten und Bekannten ein Beweis, dass er selbst nach den furchtbaren Jahren in der Gosse noch wer ist: „Schaut! Ehrenkarten! Hat mir der DFB geschickt!“ Stattdessen erhielt er, wohl aus Versehen, einen vorgedruckten Formbrief des DFB. Er enthielt eine Ticketzusage mit einer Rechnung über 341 Mark, „in den nächsten Tagen zu überweisen“. Diese Antwort muss ihn vernichtet haben. Werner Kohlmeyer starb einen Tag vor dem Länderspiel an Herzversagen. Er war nur 49 Jahre alt geworden.

Grabstätte von Werner Kohlmeyer:
Kaiserslautern, Hauptfriedhof, Donnersbergstraße 78. Das Grab wurde aufgelassen (neu: Laura Ulmer) Feld 27; 2. Reihe von oben; Nr. 60.
Neuer Gedenkstein für Werner Kohlmeyer auf dem Hauptfriedhof in Kaiserslautern
Denkmal der fünf Weltmeister aus Kaiserslautern vor dem Stadion auf dem Betzenberg, Kaiserslautern

Viel erinnert nicht mehr an den großen Fußballer. In Kaiserslautern, wo er seine größten Triumphe feierte und ihn jeder kannte, fiel er für 30 Jahre in kollektives Vergessen. Sein Grab auf dem Hauptfriedhof in der Nähe der schönen Grabstätte von Fritz Walter und der von Werner Liebrich wurde Ende der 80er Jahre aufgelassen und neu vergeben. Erst zur Fußballweltmeisterschaft 2006 erinnerte man sich seiner wieder. Am 28. April 2006 wurde im Beisein hoher politischer und sportlicher Prominenz sowie des Präsidiums des DFB ein Denkmal mit den Skulpturen der fünf „Helden von Bern“ aus Kaiserslautern vor der Westkurve des Fritz-Walter-Stadions eingeweiht. Der verlorene Sohn war zurückgekehrt.

We are using cookies to give you the best experience. You can find out more about which cookies we are using or switch them off in privacy settings.

GDPR