Adolf „Ala“ Urban

Im Osten nichts Neues

Biografie
Geboren am:
9.1.1914 in Gelsenkirchen
Gestorben am:
27.5.1943 in Staraja Russa,
Russland
Grabstätte: Sammelfriedhof Korpowo/Russland
an der Straße Demjansk-Staraja Russa
südlich des Ilmensees/Provinz Nowgorod
Block 18; Reihe 45; Grab 2776
Stationen der Karriere als Fußballer
Position: Linksaußen
Verein: FC Schalke 04 (1926-1943)
21 Länderspiele (1935-1942); 11 Tore
Mitglied der „Breslau-Elf“
Deutscher Meister 1934, 1935, 1937, 1939,
1942
Deutscher Pokalsieger 1937

„Im Osten nichts Neues“: So könnte man die nüchternen Eintragungen vom 27. Mai 1943 im Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht über Kampfhandlungen der Heeresgruppe Nord an der Ostfront bewerten. Es heißt dort lapidar: „Eigene Artillerie bekämpft Brücken und Gleisanlagen der Linie Putilowa-Schlüsselburg und Öl-Tanks in Leningrad erfolgreich.“ Aber im Feldlazarett Alexino Utoschkina verstirbt der Unteroffizier Adolf Urban, Angehöriger der 126. rheinischwestfälischen Infanteriedivision und Führer der 6. Kompanie des 422. Infanterieregiments. Er erliegt den schweren Verwundungen an Kopf und Brust, die er durch Granatbeschuss bei Gefechten nahe Staraja Russa, ca. 300 km südlich von Leningrad, erlitten hatte.

BBC London, dessen Empfang in Deutschland unter schwerster Strafandrohung steht, meldet wenige Tage später Adolf Urbans Tod und kommentiert, dieses Beispiel des bekannten Schalker Nationalspielers zeige, dass die Nazis auf niemanden mehr Rücksicht nehmen.

So war es in der Tat. Nach der Niederlage in Stalingrad Anfang 1943 hatten die Nazis den „totalen Krieg“ ausgerufen. Der vollständigen Mobilisierung und Radikalisierung des gesamten Lebens konnten sich auch die Nationalspieler nicht mehr entziehen.

Lange Zeit war es Reichstrainer Sepp Herberger gelungen, die besten Fußballer Deutschlands nach ihrer Einberufung recht sicher in der Etappe unterzubringen, in eingeweihten Kreisen „Aktion Heldenklau“ genannt. Das Gros der Bevölkerung aber wachte, als der Krieg eskalierte und alle Menschen, Zivilpersonen wie Soldaten, immer gewaltigeren Härten und Entbehrungen aussetzte, argwöhnisch darüber, dass die Sportler sich vor dem Fronteinsatz nicht mehr drücken konnten.

Das wirkte sich auch auf die Schalker Spieler aus. Der Verein hatte während der nationalsozialistischen Diktatur sechs seiner sieben Deutschen Meisterschaften errungen. Zugleich war es ihm gelungen, nicht als Naziverein abgestempelt zu werden, obwohl die Staatspropaganda die Erfolge des Arbeiterklubs von der Ruhr durchaus zu nutzen wusste, kam er doch aus einer Region, in der mit Kohleabbau und Stahlproduktion die Grundlage für den Krieg geschaffen worden war. Nach Kriegsbeginn erklärte man viele Schalker Spieler für „uk“, also unabkömmlich. Das brachte für Schalke 04 den großen Vorteil, gegen manchen bereits durch Abkommandierung von Spielern geschwächten Konkurrenten in Bestbesetzung antreten zu können.

„Ala“ Urban wurde im Oktober 1940 zur Wehrmacht eingezogen, konnte aber weiter für Schalke und die Nationalmannschaft spielen. In dieser Zeit wurde er zum Unteroffizier befördert. Im Frühjahr 1941, als die deutschen Vorbereitungen für das „Unternehmen Barbarossa“, den Überfall auf Russland, beginnen, wird Urban zur 126. Infanteriedivision einberufen und ist beim Einmarsch am 22. Juni 1941 in vorderster Front dabei. Die „Ilmenseestimme“, ein divisionsinternes Flugblatt, schreibt im typischen, martialischen NS-Stil: „Seit Beginn des Russlandfeldzuges zog Urban mit seinem Regiment in den Kampf gegen den Bolschewismus. Beim Übergang über Ostfluss, Njemen und Düna, in den Schlachten bei Noworsheff und um Staraja Russa stand Unteroffizier Urban in vorderster Linie. Immer wieder bewies er den kämpferischen, nie zu brechenden Geist, der durch den Sport in ihm erzogen war. Bei den Kämpfen ostwärts des Wolchow wurde er am 15.11.1941 durch Oberarmschuss verwundet. Als Genesener folgte er dem Ruf des verewigten Reichssportführers zu neuen internationalen Spielen.“

Ala Urban erzielt das 7:0 beim Spiel Deutschland – Dänemark (8:0) am 16. Mai 1937 in Breslau.

Urban bestreitet 1942 seine letzten zwei Länderspiele gegen die Schweiz und Kroatien und wird mit Schalke nochmals deutscher Meister gegen den First Vienna FC 1894. Ab November 1942 finden keine Länderspiele mehr statt, und der nationale Spielbetrieb ist nur noch ein Torso angesichts der schweren Luftangriffe auf die Städte und im Hinblick auf die vielen fehlenden, an der Front kämpfenden Spieler. „Ala“ bestreitet im Frühjahr 1943 sein letztes Spiel für Schalke 04. Danach muss er zurück zu seinem Regiment an die Ostfront in die Nähe des Ilmensees, wo die sowjetische Nordwestfront unter General Timoschenko den Befehl erhalten hat, die deutschen Verteidigungslinien der Heeresgruppe Nord bei Demjansk zu zerschlagen und sowjetische Vorstöße in den Rücken der deutschen Belagerungstruppen vor Leningrad zu erleichtern.

Nun muss er um sein Leben kämpfen

Die ruhmreiche Zeit, in der er im Rampenlicht des deutschen Fußballs als Linksaußen von Schalke 04 und der deutschen Nationalmannschaft stand, ist für „Ala“ endgültig vorbei. Nun muss er um sein Leben kämpfen. In dieser Phase des Krieges fallen immer mehr Kompanieund Gruppenführer, weil sie zur moralischen Stärkung ihrer dezimierten Einheiten häufig an deren Spitze kämpfen. Die Vermutung liegt nahe, dass sein Naturell als Stürmer ihn besonders für gefährliche Einsätze motivierte.

„Ala“ wird mit dem „Eisernen Kreuz II. Klasse“ und dem „Infanterie-Sturmabzeichen“ ausgezeichnet, verliehen für besondere Tapferkeit vor dem Feind und für hervorragende Dienste in der Truppenführung. Aber am 27. Mai 1943 erwischt es ihn wie ein paar Monate zuvor den österreichischen Nationalspieler Karl Gall von Austria Wien, ein Mitglied des legendären österreichischen „Wunderteams“ der 30er Jahre. Am 27. Februar 1943, während der Räumung des „Kessels von Demjansk“, die Hitler nach der Kapitulation von Stalingrad nur widerwillig erlaubt hatte, war der Gefreite Karl Gall – einen Tag vor dem gelungenen Ausbruch nahe des Ortes Ramuschewo am Lowat-Fluss und nur 23 Kilometer von Adolf Urbans Standort Staraja Russa entfernt – auf eine Mine getreten und tödlich verwundet worden.

Erste Grabstätte auf dem Lazarett-Friedhof Utoschkina

Zurück zu Urbans großen sportlichen Leistungen. Ein 1936 erschienenes Buch über den „Deutschen Fußballmeister Schalke 04“ beschreibt ihn so: „Er ist eine Kopie Kuzorras und mehr als das. Zwar noch nicht voll ausgereift, aber heute schon ein erstklassiger Linksaußen, spielt auch halbrechts. Ein Vollblutfußballer. Hat wie alle Schalker zwei Fußballbeine.“

„Ala“ Urban stand fünfmal in der Endspielformation von Schalke 04 und wurde jedes Mal Deutscher Meister. Neben seiner Karriere als erfolgreiches Mitglied des „Wunderteams aus dem Industrierevier“, das den deutschen Vereinsfußball von 1934 bis 1942 dominierte, war Urban auch Mitglied der sogenannten „Breslau-Elf “, die zum Synonym für technisch hochklassigen deutschen Tempofußball wurde. Mit 8:0 wurde das gewiss nicht schwache Dänemark am 16. Mai 1937 bei einem Länderspiel in Breslau gedemütigt. Die Zuschauer erlebten eine Sternstunde der deutschen Nationalmannschaft, in der sich vor allem der Sturm mit Ernst Lehner, Otto Siffling, Rudolf Gellesch und Linksaußen Adolf Urban großartig präsentierte.

Ehemalige Grabstätte von Adolf Urban:
Sammelfriedhof Korpowo/Russland
an der Straße Demjansk-Staraja Russa
südlich des Ilmensees/Provinz Nowgorod,
Block 18; Reihe 45; Grab 2776.
Neue Grabstätte von Adolf Urban:
Schalke-FanFeld, Pfeilstraße 37, 45897 Gelsenkirchen
Quelle Foto: Peter R. Seeber

Aufgrund seines frühen Todes erinnert man sich heute, wenn man an die große Schalker Zeit zurückdenkt, nicht mehr sofort an Adolf Urban. Das Gesicht des Gelsenkirchener Vereins jener Zeit repräsentierten später und bis in die Gegenwart vielmehr Fritz Szepan und Ernst Kuzorra, die den Krieg überlebten und als Spieler und Trainer noch lange im Blickpunkt der deutschen Fußballöffentlichkeit standen. Was bleibt, ist Urbans Konterfei auf einer der „Knappenkarten“, die dem Besucher bei Heimspielen von Schalke 04 in der „Veltins-Arena“ den bargeldlosen Kauf von Bier, Würsten und Pizza ermöglicht.

Das Schicksal des jungen Gelsenkircheners steht als traurig stimmendes Beispiel für eine Generation von Fußballern – von der Kreisklasse bis zur Nationalmannschaft –, denen der Zweite Weltkrieg alles nahm. Zehntausende waren an der Front oder in der Heimat den „Heldentod“ gestorben, wie es die Kriegspropaganda formulierte. Viele überlebten die Gefangenschaft nicht, und unzählige Spieler kehrten verwundet und psychisch demoralisiert in die Heimat zurück und konnten ihren geliebten Sport nicht mehr ausüben. Doch in den Ruinen der Städte keimte bereits wieder die Fußballpassion und begann recht bald den Menschen zu helfen, die Tristesse des schweren Nachkriegsalltags wenigstens für Stunden zu verdrängen. Und alle hielten das Andenken an ihre Idole der Vorkriegszeit hoch, deren Ruhm erst zu verblassen begann, als eine neue Generation von Nationalspielern sich in den Blickpunkt der Fußballanhänger spielte, vor allem die Weltmeister von 1954.

Am 20. November 2013 kehrte Ala Urban nach 70 Jahren in russischer Erde zurück. Auf dem Schalker Fan-Feld nahe der Schalke-Arena  nahm eine Trauergemeinde in einer bewegenden Zeremonie Abschied vom früheren Meisterspieler.
„Er ist endlich zu Hause“ sagte der damalige Aufsichtsratsvorsitzende Clemens Tönnies. Als der Sarg hinab gelassen wurde, spielte ein Bergwerkorchester das Steiger-Lied.  „Glück auf“ für einen echten Schalker Jungen, der nun wieder in heimischer Erde ruht.

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