Anton „Toni“ Turek
Vom Teufelskerl zum Fußballgott
Als Toni Turek am 7.7.1954 nach der Triumphfahrt der „Helden von Bern“ durch Deutschlands Süden in seine Heimatstadt Düsseldorf zurückkehrte, bereiteten ihm die Rheinländer einen Empfang, der fast die Rosenmontagszüge in den Schatten stellte. 100.000 Menschen säumten die Straßen und jubelten ihrem Toni zu, der wie ein Karnevalsprinz in einem riesigen Bierfass stand, das von acht Brauereigäulen der damals noch existierenden Dietrich-Brauerei gezogen wurde und von dem er statt „Kamelle“ kleine Fußbälle in die Menge warf. Begleitet wurde der Korso von Spielmannszügen, Trommelkorps und den obligatorischen Düsseldorfer Radschlägern. Der „Teufelskerl“ und „Fußballgott“, wie ihn der Radioreporter Herbert Zimmermann im WM-Finale von Bern nach spektakulären Paraden feierte, war auf dem Zenit seine Karriere.
Bald darauf ist das alles vergessen. In der Nationalmannschaft bestreitet er drei Monate nach dem Berner Finale sein letztes Länderspiel, weil Herberger nun Fritz Herkenrath von Rot-Weiß Essen zur neuen Nummer eins macht, und nach der Saison 1955/56 gehen Turek und Fortuna Düsseldorf im Unfrieden auseinander. Turek wechselt für eine Saison zu Borussia Mönchengladbach, hat aber nur noch vier Saisoneinsätze und beendet seine Karriere, die kriegsbedingt erst sehr spät begonnen hatte.
Der gelernte Bäckergeselle war Herberger schon Ende der 30er Jahre aufgefallen und wäre am 22.11.1942 beim Länderspiel im damaligen Pressburg (heute: Bratislava) gegen die Slowakei als Ersatzmann von Helmut Jahn fast zum ersten Einsatz gekommen. Sein Pech: Es war das letzte internationale Spiel der deutschen Nationalmannschaft, weil kriegsbedingt keine weiteren Länderspiele stattfanden. Erst genau acht Jahre später, am 22.11.1950, gab es das nächste: Die FIFA hatte den Boykott gegen Deutschland aufgehoben, und mit dem Spiel gegen die Schweiz in Stuttgart (1:0) wurde die junge Bundesrepublik Deutschland in den Kreis des Weltfußballs aufgenommen. Turek stand als nicht mehr ganz taufrischer Debütant im Tor, denn die besten Jahre hatte ihm der Zweite Weltkrieg gestohlen.
Er war als Soldat in Afrika, Russland, Frankreich und Italien zum Einsatz gekommen und in amerikanische Kriegsgefangenschaft geraten, aus der er Anfang 1946 entlassen wurde. Als kleines Andenken brachte er einen Granatsplitter im Kopf mit, der ihm später des Öfteren kleine Probleme bereitete. Aber für die Spieler der damaligen Zeit waren das Verletzungen, die regelrecht verdrängt wurden, Petitessen. Von ausreichender und ausgewogener Ernährung konnte sowieso keine Rede sein. Es galt, den Krieg zu überleben und in den Wirren der Nachkriegszeit irgendwie seine Existenz zu sichern. Turek nutzte seine fußballerischen Fähigkeiten, um sich als Torwart zunächst bei Eintracht Frankfurt und ab 1947 bei der TSG Ulm finanziell über Wasser zu halten, wobei er in Ulm zusätzlich als Sportlehrer in einem Jugendgefängnis arbeitete.
Seine große Zeit begann mit dem Wechsel zurück in die Heimat zu Fortuna Düsseldorf, einem der etablierten Vereine in der neugegründeten Oberliga West. Nach seinem Debüt gegen die Schweiz wurde er 1951 Stammtorwart der Nationalmannschaft, obwohl Herberger seinem „gottbegnadeten Torhüter“, wie er einmal formulierte, sein manchmal leichtsinniges Spiel nie gänzlich austreiben konnte.
Turek startete nicht gut in die WM 54, machte Fehler im Eröffnungsspiel gegen die Türkei, und Herberger verpasste ihm einen Denkzettel, indem er seinen Kontrahenten Heinrich Kwiatkowski im Vorrundenspiel gegen die Ungarn (3:8) einsetzte. Nach diesem Desaster – für Torwart und Mannschaft – und der Verletzung des zweiten Torwarts Heinz Kubsch vom FK Pirmasens kehrte Turek ins Team zurück und steigerte sich in den nächsten Spielen, sodass er für das Finale gesetzt war. Das jedoch begann für ihn äußerst unglücklich, als ihm in der achten Minute nach einem verunglückten Rückpass von Kohlmeyer das glitschige Leder entglitt und Czibor zum 0:2 nur einzuschieben brauchte. Aber dann wurde er zum Matchwinner, weil er nach dem Ausgleich der Deutschen zum 2:2 großartige Paraden zeigte. Reporter Herbert Zimmermann verstieg sich zu Elogen: „Schuss! Abwehr von Turek! Turek, du bist ein Teufelskerl! Turek, du bist ein Fußballgott!“ Und kurz vor Schluss meißelte Zimmermann Sätze in das Gedächtnis der Fans, die der Übertragung in Deutschlands Kneipen und Wohnzimmern gebannt lauschten, die sie nie mehr vergessen werden. „Czibor. Jetzt ein Schuss! Gehalten von Toni! Gehalten! Und Puskás, der Major, der großartige Fußballspieler aus Budapest. Er hämmert die Fäuste auf den Boden, als wollte er sagen: Ist das denn möglich? Dieser Siebenmeterschuss! Es ist wahr, unser Toni hat ihn gemeistert! (…) Es kann nur noch ein Nachspielen von einer Minute sein.“ Und dann schrie er: „Aus! Aus! Aus! Deutschland ist Weltmeister! Schlägt Ungarn mit 3:2 Toren im Finale in Bern!“
„Gehalten von Toni, gehalten!“
Tureks Nachruhm verschaffte ihm neben ein paar kleineren Werbeaufträgen eine gesicherte Existenz als Angestellter der Städtischen Rheinbahn AG, zum Schluss als Abteilungsleiter Registratur bis zu seiner Pensionierung. Aber das Schicksal meinte es nicht gut mit ihm. Im September 1973 wachte er eines Morgens von der Hüfte an abwärts gelähmt auf. Die Ursache wurde nie geklärt. Schlimmer noch, es kamen andere schwere Gesundheitsprobleme hinzu, die Turek zu einer jahrelangen Odyssee zwischen Krankenbett und Rehabilitationsmaßnahmen zwangen. Am 8. November 1983 erlitt der „Fußballgott“ einen Herzinfarkt und erhielt mehrere Bypässe. Ende April 1984 folgte ein Schlaganfall. Am 11. Mai 1984 verstarb Toni Turek und ging in den Fußballhimmel.
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