Lucien Laurent

Der Letzte der alten Garde

Biografie
Geboren am: 10.12.1907 in St. Maur des Fosses
Gestorben am: 12.4.2005 in Besançon
Grabstätte: Vesoul bei Besançon
L’ancien cimetière
Rue du souvenir français 100
Carre (Sektor) 9, Reihe 12, Grab 2037
Haupteingang, nach 50 m zweiter Weg nach
oben. Grab liegt direkt rechts am Weg
Stationen der Karriere als Fußballer
Position: Stürmer
Verein: CA Paris (1921-1930)
FC Sochaux-Montbeliard (1930-1932)
Club Français (1932-1933)
CA Paris (1933-1934)
FC Mulhouse (1934-1935)
FC Sochaux-Montbeliard (1935-1936)
Stade Rennes (1936-1937)
RC Strasbourg (1937-1939)
Besançon RC (1943-1946)
10 Länderspiele (1930-1935); 2 Tore
WM-Teilnehmer 1930

Als ein gewisser Lucien Laurent im Dezember 1997 in Vesoul nahe Besançon seinen 90. Geburtstag feierte, bekam er plötzlich viel prominenten Besuch aus der Welt des französischen Fußballs. Dazu musste er manches TV-Interview führen und der schreibenden Zunft Geschichten aus den alten Zeiten des Weltfußballs erzählen. Was war der Grund? Ein paar Monate später richtete Frankreich die Fußballweltmeisterschaft 1998 aus, und Fußballthemen hatten in der französischen Öffentlichkeit Hochkonjunktur. So erinnerte man sich des kleinen Mannes aus dem Department Haute-Saone, der bei der Fußballweltmeisterschaft 1930 in Uruguay das erste WM-Tor überhaupt erzielt hatte, am 13. Juli um 15:19 Uhr im Estadio Pocitos in Montevideo beim Spiel Frankreich-Mexiko, Endstand 4:1.

Als man gerade so schön bei der Geburtstagsfeier zusammensaß, tauchte natürlich die Frage nach dem Drumherum während und nach jenem Spiel damals in Montevideo auf. Lucien Laurent konnte sein historisch wertvolles Tor 67 Jahre später noch sehr genau schildern. Wer hätte ihn auch korrigieren können! Sein Augenzeugenbericht war sehr wichtig, weil nur wenige Menschen jenes bedeutsame Spiel gesehen hatten. Es gab seinerzeit keine Kameras in den Stadien, und das Spiel hatte offiziell nur 4.444 Zuschauer, bei Nieselregen, starkem Wind und Temperaturen um den Gefrierpunkt. Nach Laurents Erinnerung war Linksaußen Langiller mit dem Ball Richtung Mitte gelaufen und spielte ihn mit einem Kurzpass am Sechzehner an. Laurent, nur 1,68 m groß und 68 kg schwer, machte eine blitzschnelle Körperdrehung, verlud seinen mexikanischen Gegenspieler Rosas und stand frei vor dem Torwart. Er zog direkt ab, der Ball schlug neben dem Pfosten ein, haarscharf und eiskalt.

Die Siegesfeier fand in einem Bordell statt

Als man ihn nun fragte, wie man sein historisches Tor und den Sieg so fern der Heimat gefeiert habe, wurde Lucien geschwätzig. Vielleicht dachte er: Jetzt bin ich 90, jetzt ist es egal, jetzt kann ich es erzählen, ohne dass mir meine Frau oder die ehemaligen Mitspieler noch Vorwürfe machen können! Die Siegesfeier fand in einem Bordell statt, und zum Champagner gab es ihm zu Ehren ein gigantisches Choucroute royal, seine geliebte Elsässer Spezialität mit Sauerkraut, Speck und Würsten.

Lucien Laurent im Jahr 1998 während der Fußball-WM
in Frankreich.

Jedenfalls wurde Lucien Laurent als dem „Letzten der alten Garde“ im Dezember 1997 mehr Aufmerksamkeit in Frankreich zuteil als im Jahr 1930 selbst, als die französische Nationalmannschaft im Hafen von Le Havre den Dampfer Conte Verde bestieg, um nach einer zweiwöchigen Reise über den Atlantik herauszufinden, dass in Uruguay Winter war. Mit an Bord befand sich FIFAPräsident Jules Rimet mit dem später nach ihm benannten WM-Pokal, der im Schiffssafe verwahrt war. Laurent schwärmte von der Überfahrt. Die Möglichkeiten, mit dem Ball zu trainieren, waren natürlich limitiert, aber es gab einen Swimmingpool, ein Kino und gutes Essen im Kasino. Für den jungen, armen Kraftfahrzeugschlosser aus dem Peugeot-Werk von Sochaux nahe Besançon war es der Himmel auf Erden.

Das erstmals von der FIFA und ihrem Präsidenten Jules Rimet initiierte und von Uruguay ausgerichtete Weltturnier interessierte im wirtschaftlich darniederliegenden Europa trotz der mittlerweile großen Popularität des Fußballs eigentlich niemand. Die Presse nahm kaum Notiz davon, und nur vier Nationen, Frankreich, Jugoslawien, Rumänien und Belgien, schickten ihre Nationalmannschaft auf die lange, teure und ungewisse Reise an den Rio de la Plata. Gerade einmal dreizehn Länder nahmen an der WM teil, obwohl Uruguay als Veranstalter die Kosten vor Ort übernahm. Trotz der anfänglichen Skepsis wurde das Turnier ein voller Erfolg.

Es gab viele gute Spiele bei diesem ersten interkontinentalen Kräftemessen, und am Ende kam es zum Traumfinale Uruguay gegen Argentinien. Die Fährgesellschaften, die die 110 Seemeilen zwischen Buenos Aires und Montevideo befuhren, konnten die Massen, die das Spiel sehen wollten, nicht mehr bewältigen. Es herrschte Ausnahmezustand am Rio de la Plata, als Schiedsrichter John Langenus aus Belgien in Veston, Knickerbockern und Krawatte die Finalisten auf das Feld des Estadio Centenario in Montevideo führte. Uruguay besiegte in einem hervorragenden Spiel die Gauchos von der anderen Seite des großen Flusses mit 4:2 und wurde erster Weltmeister der Fußballgeschichte.

Währenddessen befand sich Lucien Laurent bereits auf der Conte Verde Richtung Europa und träumte von den Wochen zuvor, die ihn für einen kurzen Augenblick zu einer Person der Zeitgeschichte gemacht hatten. Er konnte nicht ahnen, wie lange es dauern würde, bis er wieder in das Rampenlicht der Fußballwelt rückte. Zurück in Frankreich, musste er später als Soldat den Zweiten Weltkrieg überstehen, der ihm 1940 die deutsche Kriegsgefangenschaft einbrockte, bis er Mitte 1943 entlassen wurde und in Freundschaftsspielen wieder auf Torejagd gehen konnte. Nach dem Krieg eröffnete er eine kleine Bar in Besançon, die ihm sein Auskommen sicherte. Bei manchem Pastis konnte er seinen Gästen dann erzählen, wie es damals war, als er in Uruguay für die „Grande Nation“ einen Fixstern setzte, der bis heute und auch in Zukunft strahlen wird.

Lucien Laurent war als einziger noch lebender WM-Teilnehmer von 1930 Ehrengast beim WMFinale 1998 zwischen Frankreich und Brasilien (3:0) im Stade de France in Paris. Was mag er gedacht haben, als der Kapitän der siegreichen Équipe Tricolore, Didier Deschamps, den Pokal in den Pariser Nachthimmel hob? Glänzten seine Augen und schweiften seine Gedanken über den Südatlantik, über den ihn das Schiff 68 Jahre vorher an das Ende der Fußballwelt gebracht hatte? Danach wurde es wieder ruhiger um den französischen Nationalheros, und im hohen Alter von 97 Jahren trat er, fast 75 Jahre nach seiner ersten großen Reise, seine letzte an.

Grabstätte von Lucien Laurent:
Vesoul bei Besançon
L’ancien cimetière, Rue du souvenir
français 100, Carre (Sektor) 9, Reihe 12,
Grab 2037, Haupteingang, nach 50 m
zweiter Weg nach oben. Grab liegt direkt
rechts am Weg.

Nach Laurents historischem ersten Treffer dauerte es 47 Jahre und 333 Tage, bis Tor Nr. 1000 bei einer WM fiel. Es war am 11. Juni 1978 um 17:19 Uhr im Estadio San Martin in Mendoza/ Argentinien beim Spiel Schottland-Niederlande (3:2), als der Niederländer Rob Rensenbrink per Foulelfmeter in der 34. Minute die Elftal mit 1:0 in Führung schoss. Das 2000. Tor fiel 75 Jahre und 342 Tage nach Laurents Treffer bei der WM 2006 in Deutschland. Torschütze war der Schwede Marcus Allbäck am 20. Juni beim Spiel Schweden-England (2:2) in Köln, als er in der 51. Minute das 1:1 erzielte. Ob die beiden Jungs aus Holland und Schweden während ihres Torjubels gewusst haben, wer ihr Vorgänger war in jenen Jahren, als der Fußball laufen lernte?

We are using cookies to give you the best experience. You can find out more about which cookies we are using or switch them off in privacy settings.

GDPR