Fritz Szepan und Ernst Kuzorra

Im Westen ging die Sonne auf

Biografie Ernst Kuzorra
Geboren am: 2.9.1907 in Gelsenkirchen
Gestorben am: 1.1.1990 in Gelsenkirchen
Grabstätte: Gelsenkirchen
Am Rosenhügel
Haupteingang geradeaus
Rechts vor dem Glockenturm
Stationen der Karriere als Fußballer
Position: Stürmer
Verein: Schalke 04 (1915-1950)
12 Länderspiele (1927-1938); 7 Tore
Deutscher Meister 1934, 1935, 1937, 1939,
1940, 1942
Stationen der Karriere als Trainer
Vereine: Borussia Dortmund (1935-1936)
SpVgg Erkenschwick (1942-1945)
SpVgg Erkenschwick (1948-1949)
Borussia Hückelhoven (1949-1951)
SpVgg Erkenschwick (1951-1952)
Biografie Fritz Szepan
Geboren am: 16.10.1905 in Gelsenkirchen
Gestorben am: 14.12.1974 in Gelsenkirchen
Grabstätte: Gelsenkirchen
Am Rosenhügel
Haupteingang geradeaus
Erster Weg links hinter dem Glockenturm
Grab links
Stationen der Karriere als Fußballer
Position: Halbstürmer
Verein: Schalke 04 (1916-1950)
34 Länderspiele (1929-1939); 8 Tore
WM-Teilnehmer 1934, 1938
Mitglied der „Breslau-Elf“
Deutscher Meister 1934, 1935, 1937, 1939,
1940, 1942
Stationen der Karriere als Trainer
Vereine: SSV Wuppertal (1947-1949)
Schalke 04 (1949-1954)
Rot-Weiß Essen (1954-1956)
TSV Marl Hüls (1956-1959)
Deutscher Meister 1955

Der Mythos großer Fußballclubs rankt sich oft um die Namen berühmter Fußballer, die das historische Fundament für das Image des Vereins legten und generationenübergreifend als Idole für das Besondere des jeweiligen Clubs stehen. Bei Real Madrid waren das Puskás, di Stefano und Gento, bei Manchester die „Busby Babes“, bei Bayern München Beckenbauer, Maier und Müller. Bei Schalke 04 verkörpern Fritz Szepan und sein Schwager Ernst Kuzorra den Mythos der Königsblauen, und das seit rund 80 Jahren.

Ihre große Zeit waren die 30er Jahre, als der Gelsenkirchener Stadtteil Schalke imposant auf der Fußball-Landkarte Deutschlands auftauchte. Zwischen 1933 und 1942 stand Schalke 04 in neun Endspielen um die deutsche Fußballmeisterschaft und gewann sechsmal den Titel. Diese großartige Mannschaft dominierte den deutschen Vereinsfußball, und viele Spieler des Teams bildeten das Rückgrat der deutschen Nationalmannschaft.

Bedauerlich ist, dass die nationalsozialistische Politik den Verein und die Spieler für ihre Zwecke instrumentalisierte. Wenn man sich die nationalsozialistische Ideologie vor Augen hält, lag das freilich nahe. Die Region und die Spieler passten zum gewünschten männlichen Typus jener unheilvollen Zeit: Arbeit, Härte, Disziplin, „zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl und flink wie ein Windhund“.

Szepan und Kuzorra waren in Gelsenkirchen geborene Nachfahren polnischer Zuwanderer aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als die „Brüder aus der kalten Heimat“ Arbeit in den Berg- und Stahlwerken des Ruhrgebiets suchten. Fußball war das Vehikel der Söhne und Enkel, um sozial aufzusteigen und nicht an die Hochöfen oder in die Stollen zu müssen. Wenn man eine Achse aus denjenigen Spielern bildet, die stilbildend über die Generationen hinweg in Deutschland wirkten und von der Persönlichkeit her für die gesellschaftliche Struktur und mentale Verfassung des Landes standen oder stehen, könnte man folgende Fußballer wählen: Fritz Szepan für die Zeit von Maloche, Bergbau, Stahl und Nationalsozialismus; Fritz Walter für das Zurückfinden Nachkriegsdeutschlands in die internationale Völkergemeinschaft; Franz Beckenbauer für die prosperierende Bundesrepublik, die als Wirtschaftsnation eine weltweit beachtliche Stellung eingenommen hatte; Lothar Matthäus für den Ehrgeiz und den engagierten Egoismus, diese Position zu verteidigen und für den gemeinsamen Erfolg eines wiedervereinigten Deutschlands zu kämpfen.

Fritz Szepan und Ernst Kuzorra Ende der 40er Jahre.

Szepan war ein eigenwilliger Spieler mit großen strategischen und balltechnischen Fähigkeiten. Im WM-System führte er das Team an, teils als offensiver Mittelläufer, teils als Halbstürmer. Kuzorra verkörperte einen anderen Spielertyp, kräftig, schnell, dribbel- und schussstark mit Vollstreckerqualitäten. Der „Schalker Kreisel“ war das Markenzeichen der beiden sich ideal ergänzenden Führungsspieler. Es handelte sich um kein Spielsystem, sondern beschrieb den Stil des Teams. Kreisel bedeutete, dass die technisch hochstehende Schalker Offensivabteilung um Szepan herum den Ball ungewöhnlich lange in den eigenen Reihen laufen, das heißt kreiseln lassen konnte, nach dem heutigen Sprachgebrauch „one touch“, bis sich irgendwann eine Lücke in der gegnerischen Abwehr auftat. „Dann kam der Steilpass“, sagte Kuzorra, meistens von Szepan, und die schnellen Stürmer Urban, Gellesch, Kalwitzki oder Kuzorra selbst stießen wie Habichte in den offenen Raum.

„Dann kam der Steilpass“

Reichstrainer Otto Nerz und sein Nachfolger Sepp Herberger versuchten, dieses System auf die Nationalmannschaft zu übertragen, und Szepan war der Regisseur. Es gelang überzeugend, speziell am 16. Mai 1937, als Dänemark in Breslau mit 8:0 geschlagen wurde. An diesem Tag entstand der Mythos der „Breslau-Elf “, der für den besten Fußball Deutschlands vor dem Zweiten Weltkrieg steht. Ernst Kuzorra fehlte, was einerseits an seinem starken Konkurrenten Otto Siffling von Waldhof Mannheim lag, andererseits aber an seinem nicht konfliktfreien Verhältnis zu den beiden Reichstrainern. Szepan hingegen blieb bis zum Kriegsausbruch 1939 der unbestrittene Gestalter des deutschen Spiels, so wie Herberger es mochte. Als Nachfolger stand Fritz Walter schon bereit.

1942 holten die Mittdreißiger Szepan und Kuzorra mit letzter Kraft ihre sechste Deutsche Meisterschaft. Der Gegner war Vienna Wien, ein Finalist aus der sogenannten Ostmark. Dann beendeten sie mehr oder weniger ihre beeindruckenden Karrieren, die den Menschen im Ruhrgebiet in den schwierigen Jahren zuvor viel Freude bereitet hatten. Beide überlebten den Krieg als Feldwebel der Luftwaffe im Fliegerhorst Gelsenkirchen-Buer.

Grabstätte von Fritz Szepan:
Gelsenkirchen, Am Rosenhügel, Haupteingang geradeaus Erster Weg links hinter dem Glockenturm, Grab links.

Nach Kriegsende spielten Fritz und Ernst – mittlerweile über 40 Jahre alt – noch bis 1950 sporadisch für Schalke 04 in der neugegründeten Oberliga West. Anschließend ergriffen sie den naheliegenden Trainerberuf. Kuzorra hatte schon ab 1935 Trainererfahrung gesammelt. Heute ist es unvorstellbar, aber als Spieler von Schalke 04 trainierte er in der Saison 1935/36 Borussia Dortmund.

Als Trainer war Szepan der erfolgreichere. Während Kuzorra nicht über kleinere Engagements hinauskam, führte Szepan Schalke 04 aus den Ruinen des Krieges und dem Kraterfeld der Glückauf- Kampfbahn wieder an die Spitze der neuen Oberliga West und holte 1951 den Titel des Westmeisters. Die Deutsche Meisterschaft mit den „neuen Knappen“ blieb ihm versagt, Schalke 04 verlor in der Endrunde gegen den 1. FC Kaiserslautern, bei dem sein legitimer Nachfolger als Spielmacher der deutschen Nationalmannschaft, Fritz Walter, Regie führte. Dafür revanchierte sich Szepan vier Jahre später, als er die Deutsche Meisterschaft 1955 mit Rot-Weiß Essen im Endspiel mit einem 4:3 gegen eben jenen 1. FC Kaiserslautern und dessen fünf „Helden von Bern“ gewann.

Grabstätte von Ernst Kuzorra:
Gelsenkirchen, Am Rosenhügel, Haupteingang geradeaus. Rechts vor dem Glockenturm.

Szepans und Kuzorras Popularität „auf Schalke“ blieb zeitlebens ungebrochen. Ende der 50er Jahre sicherten sie sich mit Lotto-Toto-Annahmestellen eine bürgerliche Existenz außerhalb des Fußballgeschehens. Szepan übernahm 1963, als Schalke Gründungsmitglied der neugeschaffenen Fußballbundesliga wurde, für vier Jahre die Präsidentschaft des Clubs. 1974 verstarb er nach einer Nierenoperation. Kuzorra war ab 1952 Obmann der Lizenzspielerabteilung und blieb bis ins hohe Alter im Dunstkreis von Schalke 04, saß fast täglich in der Vereinsgaststätte an der Glückauf- Kampfbahn mit der obligatorischen Zigarre in der Hand und machte auch 1974 den Umzug in das neue Parkstadion mit. Die Fans liebten das Urgestein jener Jahre Schalker Glückseligkeit, als den jubelnden Anhängern noch Meisterschaftsschalen am Schalker Markt präsentiert werden konnten. Und Kuzorras Kommentare zu den Leistungen der Königsblauen und den Qualitäten des Vereinsmanagements waren immer zitatwürdig. „Clemens“, wie ihn seine engsten Freunde nannten, starb am Neujahrstag 1990 in einem Gelsenkirchener Altersheim.

Er hatte die seltene Ehre, zweimal beerdigt zu werden. Der damalige Präsident von Schalke 04, Günter Eichberg, schaffte es nicht, aus dem Urlaub in Florida rechtzeitig zur offiziellen Beerdigung zu kommen. Um aber auf dem Foto der Beisetzung zu erscheinen, wurde die Bestattungszeremonie ein paar Tage später vor der Presse wiederholt.

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