Josef Masopust    

„Der tschechische Ritter“

Quelle Foto: Repre.fotbal.cz
Biografie:
Geboren am 9. Februar 1931 in Most/Strimice /Tschechien
Gestorben: am 29. Juni 2015 in Prag
Grabstätte: Prag, Vysehradsky Hrbitov
(Ehrenfriedhof Slavin auf dem Vysehrad), Ulica Stulcova
Abt. 5; Grab Nr. 75
Stationen der Karriere als Spieler
Position: Zentrales Mittelfeld
Vereine: ZJS Uhlomost Most (1945-1950)
FK Teplice (1950-1952)
FK Dukla Prag (1952-1968)
Royal Crossing Club Molenbeek (1968-1970)
Stationen der Karriere als Trainer
Vereine: FK Dukla Prag (1970-1976)
FC Zbrojovka Brünn (1976-1980)
KSC Hasselt (1980-1984)
Nationaltrainer Tschechoslowakei (1984-1987)
Olympiaauswahl Indonesien (1988-1991)
Boby Brünn (1992)
FK Pelikan Decin (1993-1996)
Fußballer Europas 1962
Vize-Weltmeister 1962
Tschechoslowakischer Meister 1953, 1956, 1958, 1961, 1962, 1963, 1964, 1966
Tschechoslowakischer Pokalsieger 1961, 1965, 1966
63 Länderspiele (1954-1966); 11 Tore

Einige mit dem Prädikat „Europas Fußballer des Jahres “ ausgezeichnete Spieler haben  durchaus skurrile Namen, wenn man deutsche Assoziationen zulässt, etwa Kaka,  Messi, der Sammler, Figo, die Feige. Und Masopust heißt auf Tschechisch Karneval, ähnlich wie der italienische Nationalspieler Andrea Carnevale vom SSC Neapel. Welche Perspektiven hätte ein Fußballer beim 1.FC Köln, wenn er Karneval hieße? Der dürfte  immer spielen. Kölle alaaf!

Bei der EM 2021 gab es einige andere lustige Namensgleichheiten, wenn man der jeweiligen Sprache mächtig ist. Finnlands Pukki und Ungarns Kecskes heissen Ziege. Christian Ziege lässt grüßen. Die Tschechen brachten mit Zima den Winter, Portugal mit Neves den Schnee nach Mittel-und Südeuropa im Sommer 2021.

Und es spielte wieder ein Masopust für Tschechien. Lukas, Enkel des legendären Josef Masopust und seinem Großvater wie aus dem Gesicht geschnitten. Ähnlich groß (1,79), ähnlich schwer (76 kg), aber nicht bei Dukla, sondern bei Slavia Prag spielend. Auch im Mittelfeld! Marktwert 3,5 Millionen Euro!

Lukáš Masopust – Wikipedia
Lukas Masopust EM 2021
Quelle: wikipedia

Die Liste von Weltklasse-Fußballern aus den Regionen, die heute Tschechisch  oder Slowakisch sind, ist beachtlich: Frantisek Planicka,  Pepi Bican,  Pavel Nedved  oder  Josef Masopust, der „Tschechische Fußballer des 20. Jahrhunderts“.  Und zwei Tschechen wurden sogar als „Europas Fußballer des Jahres“ geehrt.  Josef  Masopust  erhielt den „Ballon d’Or“ als erster Osteuropäer und als erster Mittelfeldspieler im Jahre 1962. Pavel Nedved , der „Duracell-Hase„ von Juventus  Turin wurde  2003 ausgezeichnet.  Masopust und Nedved  gehören in die Hall of Fame der Fußballer Europas, die die UEFA aber noch nicht errichtet hat. Vielleicht fehlt ein geeignetes Gebäude in Nyon oder das Geld. Im Eishockey hingegen gibt es eine  solche Hall of Fame in einem ehemaligen Bankgebäude  in der Innenstadt von Toronto mit vielen tschechischen Superstars.  Vaclav  Nedomansky, Jaromir Jagr, Peter Stastny  oder Dominik Hasek  waren großartige Spieler in der  NHL der USA und Kanadas.  In Toronto sind sie verewigt, neben Wayne Gretzky,  Marc Messier, Mario Lemieux, Gordie Howe oder Bobby Orr.  Mehr geht nicht.

Die Tschechoslowakische Republik (1919-1992), ein  aufgrund seiner geostrategischen Lage  immer hin-und hergerissener  mitteleuropäischer Binnenstaat, hat neben den Eishockey-und Fußball-Spielern noch viele andere großartige Sportler hervorgebracht.  Emil Zatopek gewann  drei Goldmedaillen bei den Olympischen Sommerspielen 1952 in Helsinki über  5.000m, 10.000m und die Marathonstrecke. Bisher unerreicht.  Die Kunstturnerin Vera Caslavska liegt mit sieben Goldmedaillen bei Olympischen Spielen auf Platz 4 der erfolgreichsten Olympiateilnehmerinnen aller Zeiten. Oder Jarmila Kratochvilova, die seit 1983 den ältesten Weltrekord der Leichtathletik-Geschichte hält, über 800 m der Frauen in 1:53,28 min.Wie sagte doch ihr Trainer: „Sie hat nur Mittel genommen, die erlaubt waren. Doch bei  ihr wirkten sie wie Doping.“ Halleluja!

Zurück zum Fußball dieser doch kleinen Nation. Der junge Masopust entging -gleich seinem Vorgänger Raymond Kopa als „Europas Fußballer des Jahres“ 1958 -dem Schicksal als „Schwarzfresse“, wie Kopa  die Lebensperspektive von Bergleuten,  wo auch immer auf der Welt, einmal genannt hat. Der kleine Raymond Kopaszewski, genannt Kopa,  wäre ohne sein fußballerisches Können wie sein Vater in die Schächte der  Kohlenreviere von Lens und Lille in Nordfrankreich eingefahren. Und auch Josef Masopust bewahrte sein fußballerisches Können davor, im Gefolge seines Erzeugers und mit seinen sechs Brüdern  in den Flözen des früheren böhmischen Brüx  unweit der Grenze zu Sachsen sein Berufsleben zu verbringen.

Nach  der Vertreibung der Sudeten-Deutschen nach Kriegsende 1945 wurde Brüx in Most umbenannt, so wie die meisten Orte dieses seit dem 13. Jahrhundert bestehenden deutschen Siedlungsgebietes eine namentliche Tschechisierung erfuhren. Ähnlich wie die Italiener ab 1919 versuchten, die deutschen Süd-Tiroler Ortsnamen mit teilweise drolligen Namens-Neuschöpfungen zu italianisieren.

In den Jugendmannschaften des SK Most begann die Karriere des kleinen Josef „Karneval“. Aber ab Sommer 1945 hatte er keine deutschen Freunde mehr. Diese Jungs mussten  unter teilweise schrecklichen Bedingungen ohne Hab und Gut mit Eltern und Großeltern ihre Heimat verlassen. Über drei Millionen Sudetendeutsche wurden 1945 und 1946 Strandgut, das überwiegend im zerstörten Deutschland anlandete.

Josef Masopust blieb als tschechoslowakischer Staatsbürger noch ein paar Jahre in Most, wechselte dann aber 1950, nunmehr als Staatsamateur, was einem Profi gleichkam,  zum FK Teplice in die erste tschechoslowakische Liga. Richtig Fahrt nahm seine Karriere dann auf, als er 1952 zu ATK Prag, dem späteren Dukla Prag, transferiert bzw. delegiert wurde. Er hatte viele Jugendfreunde 1945/46 verloren, konnte aber bei seinem Wechsel in die Hauptstadt nicht ahnen, dass er  20 Jahre später auch noch seine Heimatstadt verlieren würde.

Quelle Foto: Ostbelgiendirekt.be

Denn 1964 beschloss die Regierung in Prag, die kleine Stadt Most wegen des weiteren Ausbaus der Kohleförderung in dieser Region dem Erdboden gleich zu machen. Der 10.000 Seelen-Ort mit einer schönen Alt-Stadt sollte ab 1967 abgerissen werden und die mittlerweile rein tschechische Bevölkerung außerhalb des neuen Kohleaushubs in schönen Plattenbausiedlungen zwei Kilometer südlich ihr künftiges  Zuhause finden.  Einen Teil der Abbrucharbeiten übernahm im Sommer 1968 ein Filmteam von MGM aus Hollywood, das gerade in Europa den Blockbuster „Die Brücke von Remagen“ drehte. Für die nachgestellten Aufnahmen der spektakulären Zerstörungen Remagens im März 1945 durch Bombenangriffe und Häuserkämpfe koordinierte das Aufnahmeteam mit professionellen tschechichen Sprengmeistern die Zerstörung der historischen Gebäude von Most, während verkleidete Schauspieler als amerikanische GI’s oder Soldaten der deutschen  Wehrmacht Krieg inclusive Heldentod spielten und die USA die Schlacht gewannen. Das geschah in einer politischen Phase, in der  die Tschechoslowakei unter schärfster  sowjetischer Beobachtung stand. Der Versuch der Regierung unter Generalsekretär Alexander Dubcek, einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ zu schaffen,  passte nicht in das Konzept der Sowjetunion. Am 21. August 1968 wurde das amerikanische Filmteam von echter Kriegswirklichkeit eingeholt. Sowjetische Panzer und die anderer Mitgliedsstaaten des „Warschauer Pakts“ (außer der DDR) rollten in die Tschechoslowakei  ein und bereiteten dem „Prager Frühling“ ein abruptes Ende. Der Streifen war erst zu zwei Dritteln ab gedreht. Die Amerikaner mussten das Land sofort verlassen und brachten in einem Konvoi von 20 Lastkraftwagen die Filmcrew nebst Requisiten nach Österreich. Die rund 800 tschechischen Statisten blieben zurück. Im Filmtagebuch notierte Produktionsleiter Milton Feldman:“Heute kein Dreh wegen Schießereien“.

Zu diesem Zeitpunkt war Major Josef Masopust schon 16  Jahre lang der Vorzeigefußballer  der Tschechoslowakei mit seinem Klub Dukla Prag, dem Armeeverein. Die Fußballvereine aus Prag waren genau wie die Vereine in Moskau oder Budapest Ministerien, Geheimdiensten, Eisenbahngesellschaften oder der Armee zugeordnet.  Die Spieler hatten noch keine Berater, sondern wurden per Dekret zu den Clubs delegiert. Der Höhepunkt der Karriere von Josef Masopust und die der tschechoslowakischen Nationalmannschaft nach dem 2. Weltkrieg war die Fußball-WM 1962 in Chile. In den Augen der historisch bewanderten Fußball-Fans war diese WM das schwarze Schaf der Fußball-Familie.  Destruktiv und brutal wurde getreten, gespuckt und beleidigt. Höhepunkt dieser Exzesse war die „Schlacht von Santiago“, Chile gegen Italien. Die britische Zeitung „Independent“ schrieb: „ Die WM 1962 war von Zynismus und Gewalt geprägt und wurde vergessen, sobald sie zu Ende war.“ Das galt allerdings nicht für die Tschechoslowakei, diesem konstruierten neuen Staatsgebilde nach dem 1. Weltkrieg, entstanden aus der Konkursmasse der österreichisch-ungarischen „k u k Monarchie“.  Dieser 1919 in Versailles entstandene Bastard löste sich erst an Silvester 1992 mit der Neugründung der  heutigen EU-Staaten Tschechien und Slowakei auf.

Die „alte“ Tschechoslowakei spielte 1962  ein hervorragendes  WM-Turnier. In der Vorrundengruppe hatten sie es mit  Brasilien, Mexico und Spanien zu tun, im heutigen Sprachduktus eine „Hammer-oder Todesgruppe“. Im Spiel gegen Brasilien kam es zu einer bemerkungswerten Szene, die in Brasilien als Symbol des Fair Play gilt. Pele fasste sich nach einem Torschuss an den linken Oberschenkel. Muskelfaserriss. Damals durfte noch nicht ausgewechselt werden.  Pele konnte kaum noch laufen, stand nur noch als Statist an der Außenlinie, als ihm ein Pass zugespielt wurde. Josef Masopust lief als Spielmacher  der Tschechoslowakei auf ihn zu, blieb vor Pele stehen und griff ihn nicht an. Eine Geste des Respekts. Pele schob den Ball ins Aus  und Masopust begleitete den damaligen „König des Fußballs“ würdevoll  umarmend, ja tröstend,  vom Rasen. Mit einem 0:0 qualifizierte sich die Tschechoslowakei  für das Viertelfinale. Das war schon beachtlich. Glücklicherweise mussten sie  nicht gegen die Sowjetunion spielen. Ein Sieg gegen die starke „Sbornaja“ hätte wohl den sofortigen  Einmarsch der „Roten Armee“ ausgelöst,  der am 21. August 1968 dann doch noch verspätet stattfand, allerdings aus  anderen Beweggründen. Es blieb dem Gastgeber Chile vorbehalten, die Sowjets 1962 auszuschalten. Die Tschechoslowakei hatte  auf dem Weg ins Finale  am 17. Juni 1962 aber zwei andere schwere „Bruderkämpfe“ vor sich. Gegen Ungarn im Viertelfinale (1:0) und gegen Jugoslawien im Halbfinale (3:1). Und dann standen die Spieler, überwiegend aus den Städten Prag und Bratislava, im Finale. Das fand im Estadio Nacional de Chile in Santiago gegen die hochfavorisierten Brasilianer statt. Die liefen bis auf den immer noch verletzten Pele mit einem Starensemble ein, nicht mehr und nicht weniger  die Weltmeister von 1958.  Masopust schoss sein Team in Führung. Aber schwere Fehler des bis zum Finale großartig haltenden Torhüters Viliam Schroif brachten die Tschechoslowakei um den möglichen Sieg gegen eine doch leicht überalterte Elf der Brasilianer. In den letzten Minuten erzielten Zito und Vava die Siegtore für die Brasilianer.

Masseur Mario Americo und Josef Masopust führen Pele nach seiner Verletzung vom Platz.
Quelle Foto: deccanchronicle.com

Die Qualität  des tschechoslowakischen  Fußballs der 60er Jahre zeigte sich auch am 28. April 1965 im Victoria Ground, dem Stadion von Stoke City. Sir Stanley Matthews bestritt an jenem Abend  im zarten Alter von 50 Jahren sein Abschiedsspiel gegen eine von der FIFA entsandte Welt Elf, deren Spieler alle noch voll im Saft standen. Das war keine Gedächtnistruppe.  Im Tor stand Lew Jaschin, vor ihm verteidigten der Schwede Kai Johanneson und der Deutsche Karl-Heinz Schnellinger. Das Mittelfeld bildeten die drei Tschechoslowaken Svatopluk Pluskal, Jan Popluhar und Josef Masopust sowie  Willie Henderson von den Glasgow Rangers. Der Sturm lässt die Fußball-Kenner noch heute mit der Zunge schnalzen. Ladislaus Kubala, Raymond Kopa, Ferenc Puskas und Alfredo Di Stefano.  Die deutschen Spieler Hans Schäfer, Weltmeister von 1954 und Hans Tilkowski, Wolfgang Weber, Wolfgang Overath und Uwe Seeler saßen immerhin auf der Ersatzbank.

Masopust war ein genialer Mittelfeldstratege. „Josef spielte wie ein Brasilianer. Seinem Habitus nach wirkte er wie einer, der bei uns geboren wurde. Er hatte eine glänzende Ballbehandlung“ schwärmte einst Brasiliens legendärster Fußballer Pele. Der Junge aus Brüx/Most  in Nordböhmen beendete seine lange Fußballkarriere nicht bei einem Weltverein, sondern beim belgischen  Royal Crossing Club Molenbeek, damit noch ein paar Devisen für ihn  und den Staat heraussprangen. Er hatte das Glück, im Juni 1968 in den Westen wechseln zu dürfen. Zwei Monate später wäre das nicht mehr möglich gewesen, denn da war die Tschechoslowakei  von den Truppen des „Warschauer Paktes“ besetzt und die Grenzen für lange Zeit geschlossen. Aber der Major Masopust  blieb seinem Land treu und kehrte 24 Monate später nach Prag zurück, nunmehr als Co-Trainer zu  seinem Stammverein Dukla Prag. Das hat ihm die tschechoslowakische Bevölkerung hoch angerechnet und wird auch eine Rolle bei seiner Wahl zum Fußballer des 20. Jahrhunderts der Tschechoslowakei gespielt haben.

Josef Masopust war Major der kleinen Armee, die die Tschechoslowakei 1968 nicht verteidigen konnte, als der „Warschauer Pakt“ unter Führung von Marschall Gretschko den „Prager Frühling“ mit 400.000 Soldaten, 6.300 Panzern, 2.000 Geschützen und 800 Flugzeugen abrupt beendete. Danach blieb der Sommer aus, wie Mehltau legte sich rigider, diktatorischer Kommunismus für Jahrzehnte über ein kulturell hochentwickeltes und landschaftlich wunderschönes Land. Erst mit dem Dramatiker, Menschenrechtler und Philosophen Vaclav Havel an der Spitze der Demokratiebewegung 1989 wurden Liberalisierung und Demokratie zurückgewonnen. Dass der „Prager Frühling“ von 1968 unvergessen blieb beweist die Biographie von Jaromir Jagr. Er wurde 1972 im früheren Kladen (heute Kladno) unweit von Prag geboren und gilt als einer der besten Eishockeyspieler aller Zeiten. Seit Beginn seiner Weltkarriere trägt er die Rückennummer 68, im Gedenken an seinen Großvater, der beim Aufstand 1968 in Prag ums Leben kam.

Jaromir Jagr und Josef Masopust sind Symbolfiguren in einem Land, dessen tragische Vergangenheit im 20. Jahrhundert nach der  brutalen deutschen Annexion und  Besetzung von 1938 bis 1945 sowie der unmittelbar danach folgenden  Okkupierung durch die Sowjetunion ab 1946 erst mit der „Samtenem Revolution“ im kalten Dezember 1989 endete. Ab Silvester 1992 gingen Tschechien und die Slowakei getrennte politische und wirtschaftliche Wege. Aber ihre großen „Helden des Sports“ haben die Menschen in Tschechien und in der Slowakei in ihren Herzen behalten.

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