Johann „Hans“ Schäfer

De Knoll

Quelle Foto: DFB

Biografie
Geboren am 19.10.1927 in Köln
Gestorben am 7.11.2017 in Köln
Grabstätte: Köln Südfriedhof
Flur 22, Höningerplatz 25
Stationen der Karriere als Fußballer
Position: Linksaußen
Vereine: DJK Rheinland/Rot Weiß Zollstock (1937-1947)
VfR Volkmarsen (1947-1948)
1.FC Köln (1948-1965)
39 Länderspiele (1952-1962); 15 Tore
WM Teilnehmer 1954/1958/1962
Weltmeister 1954
Deutscher Meister 1962/1964
Rekordschütze der Oberliga West (223 Tore)
Fußballer des Jahres 1963

Eigentlich spielte mit Hans Schäfer der fünfeinhalbte Kaiserslauterner  im WM Finale 1954, weil sein Vater Hugo  aus Kaiserslautern stammte.  Das waren ganz schön viele Helden aus einer Stadt mit weniger als 100.000 Seelen. Die Fußball-Statistiken weisen weltweit keine solche Dichte von Fußball-Weltmeistern pro Kopf aus, vielleicht noch Montevideo.

Am 19. Oktober 1927 unterschrieb der Standesbeamte im Kölner Stadtteil  Zollstock die Geburtsurkunde, Johann Schäfer, Abkömmling von Hugo Schäfer. Das Motiv des Vaters, die Pfalz zu verlassen und in Köln einen Friseursalon zu eröffnen, ist nicht überliefert.  Rund 27 Jahre später, der zweite Weltkrieg  war überstanden, verfasste Sepp Herberger mal wieder einen seiner legendären Rundbriefe an die  „Helden von Bern“,  rund sieben Wochen nach dem Finale.  Wie immer beschwörend schilderte er ihnen die Bürde, die nun mal auf Fußballgöttern  lastet:   „Liebe Kameraden!  Das nächste Spiel ist immer das schwerste. Und das findet am 26. September in Brüssel statt und wird ein ernster Prüfstein. Belgien wird alles daransetzen, uns zu schlagen. Die ganze Welt wird am Verlauf und am Ausgang dieses Spiels sehr stark interessiert sein“. Dann folgten die Rüffel des Feldwebels und Feldherrn angesichts der Feierlaune vieler Spieler nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft in ihren Wohnorten. Aber wer konnte es den Helden  verdenken, während all der ganzen  Empfänge manch gutes Bier und einen guten Toast Hawaii – damals sehr angesagt – kostenfrei zu genießen. Die daraus resultierende körperliche Verfassung bereitete Herberger, einem Asketen, offenbar besonders große Sorgen. Hans Schäfer hatte wohl auch einige Gaffel Kölsch zu viel  getrunken und dabei seiner Lieblingsspeise „Himmel un Ääd“  zugesprochen. Dieses rheinische Gourmetgericht -hochdeutsch Himmel und Erde- besteht aus gebratener Blut- und Leberwurst nebst gerösteten Zwiebeln, Speck und Kartoffelpüree, dekoriert mit Apfelscheiben.  Paul Bocuse hätte  sich wahrscheinlich der Magen umgedreht angesichts dieser Kalorienbombe.  „Himmel un Ääd“, dazu ein paar Kölsch, geht auf die Hüften. Herberger redete Hans Schäfer ins Gewissen. „Was früher ihre Stärke war, Ihr Drang zum Tor, Ihr explosiver Körpereinsatz im Kampf um den Ball, sucht man heute vergebens in ihrem Spiel.  Wie schon so oft, möchte ich auch heute wieder darauf hinweisen, dass nur erhöhte Anstrengungen frühere Leistungen  zurückbringen. Bei der Weltmeisterschaft waren Sie im Urteil  aller Sachkenner  der beste Linksaußen. Heute sind Sie weit davon entfernt.“

Herberger schwante schon bei der Rückfahrt  nach dem Finale von Bern Richtung Deutschland Böses. Als im Bordrestaurant des roten Sondertriebwagens der Deutschen Bundesbahn  in Richtung München  die sicherlich nicht geringen Biervorräte schnell schwanden, war ihm klar. Die nächsten Wochen werden für die Spieler in ihren Heimatorten  körperliche Herausforderungen, jedoch  anderer Art  als die in einem  Trainingslager unter seiner Leitung. Beim großen Empfang der Mannschaft im Münchner Löwenbräu-Keller am 6. Juli sahen die meisten Spieler (außer dem Ersatzspieler Hans Bauer vom FC Bayern München) zum ersten Mal in ihrem Leben  Maßkrüge vor sich stehen, gefüllt  mit gutem bayrischen Bier.  Dazu wahlweise  Schweinsbraten oder Schweinshaxe. Vorspeise: Leberknödelsuppe. Nachspeise: Kaiserschmarrn. Digestiv: Obstler oder ein Enzian!

Auch DFB-Präsident Peco Bauwens hatte sich wohl dem Freibier hingegeben. Die Live-Übertragung seiner Rede wurde durch den Bayerischen Rundfunk nach wenigen Minuten mit dem Hinweis abgebrochen, dass die vorgesehene Übertragungszeit verstrichen sei. Bauwens war der Gaul durchgegangen, als er neben einigen sehr chauvinistischen Bemerkungen auch noch den germanischen Donnergott Wotan bemühte, der den deutschen Spielern den Fuß geführt habe.

Am Tag danach hielt  „de Knoll“ Einzug  in Köln. Die Menge vor dem Hauptbahnhof durchbrach die Absperrungen. „So viele Menschen waren in Köln wohl nur 1912 auf den Beinen, als der Zeppelin über der Domstadt kreiste“ mutmaßte Hans Schäfer später. In der angrenzenden Altstadt herrschte bald danach bei sommerlichen Temperaturen ein nachträglicher zweiter Karneval. Kölle Alaaf!!  Die Altstadtgastronomen erfreute es. In Düsseldorfs Altstadt 50 km nördlich war es nicht viel anders, außer dass Hannen Alt  getrunken wurde. Sein Mannschaftskamerad Toni Turek, der „Teufelskerl  und Fußballgott“,  der im gleichen Zug von München nach Köln gesessen hatte kam 45 Minuten später am Düsseldorfer Hauptbahnhof an.  Der Weg vom Hauptbahnhof in die Altstadt ist  hier allerdings zwei Kilometer länger als der in Köln. Auf einem Bier-Wagen der Brauerei Dietrich, von acht Brauereigäulen gezogen, fuhr  Toni  wie ein römischer Imperator  in die Düsseldorfer Altstadt ein.  Karneval im Sommer.  Und auch hier registrierten die  Altstadt-Gastronomen steuerfreie Umsätze.

Nach all den Feierlichkeiten nahmen die deutschen Fußball-Ligen  irgendwann im August 1954 den Spielbetrieb wieder auf.  Der DFB und seine  Weltmeister konnten sich nach dem WM-Sieg kaum noch der Einladungen der internationalen Verbände für ein Länderspiel in ihrem Land erwehren.  Der ungarische Verband war nicht dabei. Jetzt kam wieder die Stunde von Sepp Herberger.  Im Mannheimer Dialekt schrieb er viele kritische Briefe an die „Helden“, die kurzfristig die Pfade der Tugenden verlassen hatten. Es ist nicht gesichert, ob es damals schon Fußball-Groupies gab.  Egal.  „Hans, trinke Se net so viel, am 26. September hawe mer e schweres Spiel gege die Belgier in Brüssel“. Sagen sie mal das einem Kölner.  Woher Herberger von Schäfers Lust  auf  das ein oder andere gepflegte Kölsch   wusste  ist nicht gesichert. Aber wenn seine Späher und Zuträger das Genussverhalten  Schäfers in Verbindung mit seinem  objektiven Leistungsschwund  beim Training auf dem Geißbockgelände  des 1.FC Köln in der Berrenrather Straße 549 so beschrieben haben sollten, dann war die Kritik Herbergers nachvollziehbar, weil Schäfers Qualitäten der starke linke Fuß, seine Dynamik,  Wucht,  Kampfstärke und Kondition waren.

Schäfers  Bedeutung für den WM-Sieg geht in der medialen Berichterstattung der Weltliteratur über dieses Finale leider  unter im Vergleich zu Helmut Rahns Verdiensten. Weil  „de Knoll“  nicht wie so viele geniale Außenstürmer den selbständigen Unternehmer spielte, sondern sich ganz in den Dienst der Mannschaft stellte.

Zweikampf Schäfer und Grosics in der 18. Minute
Quelle Foto: Frankfurter Rundschau

Im Finale gegen Ungarn behinderte Schäfer vor dem 2:2 durch eben jenen Rahn den ungarischen Torwart Grosics derart, dass sogar jeder Regionalliga-Schiedsrichter heutzutage abpfeifen würde. Das Unschuldslamm schilderte das Geschehen in seiner subjektiven Wahrnehmung  Jahrzehnte später so: „Ich habe Grosics nicht gerempelt, ich bin einfach hochgesprungen. Das war kein Foul, aber es gibt sicherlich Schiedsrichter, die das abgepfiffen hätten“.  Und genauso rustikal bereitete Schäfer in der 84. Minute durch seine Blutgrätsche  (ein eindeutiges Foul) gegen den  vorwärtsstürmenden Bozsik seine Flanke vor, die zum 3:2 durch Helmut Rahn führte. Die meisten Schiedsrichter hätten das abgepfiffen.  Jetzt sind wir bei den Verschwörungstheorien, die später aus Ungarn nach Deutschland drangen. Der englische Schiedsrichter Ling wollte England für die demütigenden Niederlagen gegen Ungarn 1953 (3:6) und im Mai 1954 (1:7) rächen. Um das Maß vollzumachen, entschied er kurz vor dem Abpfiff beim Tor von Puskas  zum vermeintlichen  3:3  auf Abseits. Wenn schon, denn schon. Natürlich war es kein Abseits.

Aufzeichnung von Sepp Herberger vor dem WM-Finale 1954
Quelle: DFB Museum

Herbergers Taktik im Finale war, Schäfer gegen Bozsik zu stellen. Mit einer höflichen Anweisung  -man sprach sich noch mit Sie an- sagte der „Chef“: „Hans, gehen Sie mit dem Bozsik mit, wenn er sich in den Angriff einschaltet“.  Der Ungar von Honved Budapest  war rechter Läufer, 29 Jahre jung, traumhafter Techniker  und  sehr laufstark. Eigentlich wäre Fritz Walter sein Gegenspieler gewesen. Mit dieser Zuordnung des jungen, kampf-und konditionsstarken Linksaußen Schäfer, 27 Jahre alt,  wollte er Fritz Walter entlasten, der im Gegensatz zu Bozsik  und Schäfer mit seinen fast 34 Jahren halt nicht mehr der Jüngste war. Höhepunkt dieser taktischen Meisterleistung war der Zweikampf zwischen Bozsik und Schäfer und der sich daraus ergebende deutsche Angriff, der in der 84. Minute zum 3:2 führte.

Aus der heutigen Zeit betrachtet traf Herberger wirklich großartige taktische Entscheidungen, ohne die Deutschland nie den Weltmeistertitel gewonnen hätte. Das hergeschenkte 3:8 gegen Ungarn zum Beispiel, um den Ungarn bis zum Finale aus dem Weg zu gehen und diese im Unklaren über die Spielstärke der deutschen Mannschaft zu lassen.  Im Finale ließ er dann Horst  Eckel  den verkappten Mittelstürmer  Hidegkuti wie eine  Helikoptermutter betreuen.  Und  Schäfer beschäftigte  Bozcik.

Herberger machte nur einen Fehler, den er aber in der Halbzeit korrigierte. Als Zoltan Czibor, der ungarische Linksaußen, auf der rechten Seite begann, hätte er sofort umstellen müssen. Werner Kohlmeyer war vom Körperbau nicht beweglich genug für den Zweikampf gegen diesen Wirbelwind mit gänzlich anderer Ballführung als der eines klassischen Rechtsaussens, so wie Budai  es gewesen wäre. Czibor spielte rechts  wie  Arjen Robben viele Jahrzehnte später. Herberger und Fritz Walter hatten den eingespielten Sturm von Honved Budapest  (Czibor links, Budai rechts, in der Mitte Kocsis und Puskas) erwartet. In der Halbzeit musste „der Chef“  reagieren und positionierte  Posipal gegen Czibor. Dann hörten die schweren Turbulenzen auf  der rechten Seite auf. Deutschland wurde mit viel Glück Weltmeister.

Grabstätte: Köln, Südfriedhof
Höningerplatz 25

Als Sepp Herberger nach dem Spiel und der Pokalüberreichung in die Kabine kam,  sagte er: „Männer, euer ganzes Leben wird sich verändern“.  Hans Schäfer fühlte intuitiv. „Wir haben das damals nicht geglaubt, aber irgendwo hat er Recht behalten. Ich könnte mich noch heute überall feiern und hofieren lassen.  Weltmeister bleibt man ein Leben lang, aber am liebsten bleibe ich ein Weltmeister im Hintergrund.“ Schäfers Fußballer-Leben war mit 1954 noch lange nicht beendet, sondern hatte noch viele Höhepunkte. Er war Kapitän der deutschen Nationalmannschaft bei den Weltmeisterschaften 1958 in Schweden und 1962 in Chile. Diese Weltmeisterschaften schufen neue „Helden“, nur dass die aus Brasilien kamen. Die europäischen Mannschaften konnten dieser neuen Virtuosität nichts entgegensetzen.  Aber der Fußballgott hatte noch eine gute Idee: Er wollte Hans Schäfer einen schönen Abgang von der Fußballbühne verschaffen. Sein Argument: „Wenn ich den Max Morlock noch als  Kapitän des  1.FC Nürnberg zum Deutschen Meister  1961 gemacht habe dann hat  „de Knoll“ das auch verdient“. Und der 1.FC Köln gewann prompt mit Kapitän Hans Schäfer den ersten Titel der neu gegründeten Fußball-Bundesliga  der Saison 1963/1964. Der Fußballgott ist manchmal sehr unberechenbar. Wo die Liebe hinfällt. Aber Helmut Rahn zum Deutschen Meister 1964 mit dem Meidericher SV zu machen wäre dann doch  des Guten zu viel gewesen.

Hans Schäfer  verbrachte bis zu seinem Lebensende ein sehr bürgerliches Leben in Köln und ging pragmatisch mit sich und seinem Heldentum um. Wenn man rheinische Rübenbauern kennt weiß man , was „de Knoll“ umgangssprachlich in dieser Region bedeutet:  „Dickkopf“, so ähnlich wie die  Zuckerrübe,  keine schöne Pflanze,  die vor den Toren Kölns  alljährlich üppig wächst und gedeiht.  Das bekam eine Festgemeinde in Kaiserslautern zu spüren, als sich allerlei Prominenz zum 80. Geburtstag von Fritz Walter im Herbst 2000 auf dem Betzenberg eingefunden hatte. Hans Schäfer war Ehrengast. Er spürte, wie sich alles –wie seit Jahrzehnten -um Fritz Walter drehte und er auf diesem Festival der Eitelkeiten zusammen mit den anderen noch lebenden „Helden von Bern“ (Horst Eckel, Ottmar Walter) und auch Freunden aus der ungarischen Mannschaft von 1954 kaum beachtet wurde. Wutentbrannt reiste  er noch während der Veranstaltung mit seiner Frau Isis ab und beendete   das Kapitel 1954 als „Held von Bern“ in der medialen Öffentlichkeit. Nur nicht in den Kneipen der Kölner Südstadt. Da musste er nicht den Helden spielen und fühlte sich wohl im Kreise von Freunden, die keine Schulterklopfer waren. Gelegentliche Skatrunden mit viel Gesprächsstoff rund um den FC, für den er immer noch die meisten Spiele bestritten und die meisten Tore erzielt hat. Dazu  ein gepflegtes Gaffel-Kölsch, serviert vom „Köbes“, der ihn sehr wertschätzte. Normalerweise setzt der kölsche  „Köbes“ ein Grundgesetz des Kapitalismus außer Kraft, nämlich dass der Kunde König ist.  Aber der „Köbes“ spürte: „De Knoll“ ist einer von uns. Ein geerdeter „Held“.

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