Luis Suarez

El Arquitecto

Geboren am 2.5.1935 In La Coruna/Spanien
Gestorben am 9.7.2023 in Mailand
Grabstätte: Mailand: Cimitero Maggiore di Musocco; Piazzale Cimitero Maggiore
Plot: Campo 5; Giardino 138 a
Stationen der Karriere als Fußballer
Position: Zentrales Mittelfeld
Vereine: Perseverancia Santo Tomas (1950-1953)
Real Deportivo La Coruna (1953-1954)
FC Barcelona (1954-1961)
Internazionale Mailand (1961-1970)
Sampdoria Genua (1970-1973)
32 Länderspiele für Spanien (1957-1966); 13 Tore
Europas Fußballer des Jahres 1960
Fußball-Europameister mit Spanien 1964
Europapokal der Landesmeister 1964;1965
Spanischer Meister 1959, 1960
Italienischer Meister 1963; 1965; 1966

Die fußballerische Karriere von Luis Suarez beim FC Barcelona und Inter Mailand lädt ein zum Vergleich mit großen Dirigenten aus der Welt der Oper. Arturo Toscanini dirigiert am Gran Teatre del Liceu in Barcelona die Startenöre Luciano Pavarotti, Placido Domingo, Mario del Monaco und Jonas Kaufmann. Es gibt aber keine Oper, die den Einsatz eines solchen Star-Ensembles inhaltlich und rollenmäßig zulässt. Im Fußball ist das gelegentlich möglich, wenn die Finanzen stimmen. Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre gelang das dem Management des FC Barcelona. Der katalanische Hauptstadtclub hatte in seinem Behauptungswillen gegen die verhassten Kastilier von Real Madrid so aufgerüstet, dass Trainer Helenio Herrera ein Starensemble im Estadio Nou Camp dirigieren konnte. Die Offensive war Weltklasse. Dirigent auf dem Platz war der galizische Junge aus La Coruna, Luis Suarez, den Primgeiger spielte der Ungar Laszlo Kubala, umgeben von Stürmern mit Donnerhall: Sandor Kocsis und Zoltan Czibor, auch aus Ungarn, und dem Brasilianer Evaristo.

Luis war 1954, ein Jahr nach dem Diebstahl seines Idols Alfredo di Stefano (Bestohlener: FC Barcelona, Dieb: Real Madrid) an die Costa Brava gewechselt. Dem 18-jährigen Jungen aus La Coruna fiel der Wechsel nach Katalonien trotz der erheblichen Gehaltssteigerung und besseren sportlichen Perspektiven schwer. Die Luftveränderung vom Atlantik ans Mittelmeer war für ihn schlimmer als für einen Bayern aus dem Berchtesgadener Land nach Castrop-Rauxel. Die Costa Brava ist wilder, heißer, temperamentvoller als das raue Kap Finisterre an der Westküste Galiziens. Und dann noch die katalanische Sprache, das andere Essen und die anders aussehenden Mädchen. Es war wichtig für die Spielentwicklung des Jungspunds, dass die namenlosen Trainer Daucik, Puppo, Plattko und Balmanya ihm die Amme Kubala, der seit 1951 in Barcelona spielte, zur Seite stellten. 1958 fiel er dann einem Sklaventreiber in die Hände. Neuer Trainer wurde der Argentinier Helenio Herrera. Der erkannte das Potential dieses Nordspaniers, der an der Seite Kubalas erwachsen geworden war und sich bald zu Herreras verlängertem Arm auf dem Spielfeld entwickelte. Die Rivalitäten und Intrigenspiele im Team kamen zum Erliegen. Die ungarische Abteilung mit Kubala, Kocsis (kam 1958) und Czibor (kam 1957), die südamerikanische Fraktion mit Evaristo und Villaverde und die restlichen landsmannschaftlich nicht sehr homogenen Spanier marschierten mehr und mehr im Gleichschritt. Und Suarez, „el Arquitecto“, wie ihn di Stefano nannte, konstruierte Angriffswellen in Form eines Tsunamis, der über die gegnerischen Abwehrreihen hineinbrach. Er glich einem Schmetterling, dessen Flügelschlag einen Sturm in einer ganz anderen Zone des Spielfelds auslösen konnte.

Luis Suarez (Mitte) mit Sandor Kocsis (Links) und Laszo Kubala (Rechts)

Suarez, der sich in der regenreichen Region Galiziens im Morast der Dünen eine stabile Beinmuskulatur und eine blendende Balltechnik angeeignet hatte, war ein Lenker des Spiels geworden. Am 30. Januar 1957 gab er schon sein Debüt in der Nationalmannschaft Spaniens mit der Offensive Alfredo di Stefano, Francisco Gento und Laszlo Kubala. Das war mit ihm eine Ansammlung von Spielern aus Argentinien, Ungarn, Kantabrien und Galizien, die den Spaniern nach dem verheerenden Bürgerkrieg (1936-1939) Hoffnung auf Versöhnung machten, zumindest auf den Fußballfeldern der iberischen Halbinsel. Auch Stolz spielte eine Rolle, dass die durch Francos Diktatur in Europa geächtete Nation durch ihre „La Roja“ und die Spitzenteams von Real Madrid und FC Barcelona die führende Stellung im europäischen Vereinsfußball einnahmen.

In Barcelona arbeitete die Vereinsführung ungeachtet der Harmonie in der Nationalmannschaft an der Wachablösung des „Weißen Balletts“ von Real Madrid, das zwischen 1956 und 1960 fünf Mal hintereinander den Europapokal der Landesmeister gewonnen hatte. Koste es, was es wolle. Dieser Umgang mit finanziellen Ressourcen gilt bis heute, auch in Zukunft. Sowohl in Katalonien wie auch in Kastilien.

Barcelona verfolgte die hochmütigen Madrilenen, schnaubend vor Wut, jahrelang gedemütigt worden zu sein. Und das faschistische Franco-Regime hatte enorme Aversionen gegen das republikanische Katalonien und tat alles, diesen Separatisten die Luft abzuschnüren. Höhepunkt dieser repressiven Politik war für die Fans des FC Barcelona, dass ihnen Real wohl mit Unterstützung Francos den Argentinier Alfredo di Stefano abspenstig gemacht hatte, obwohl der schon in Barcelona trainierte. Das haben sie den Hauptstädtern übelgenommen, bis heute und auch die nächsten hundert Jahre. Der beste Schauplatz für Rachegelüste ist ein Heimspiel gegen Real im Nou Camp. Da fliegen schon mal Schweinsköpfe in den Strafraum der Madridistas. Luis Figo kann ein Lied davon singen.

Am 25. November 1960 kam es zur Wachablösung in Spanien. Endlich. Die Katalanen waren im Jahr zuvor Meister geworden und schalteten Real Madrid (das als Vorjahressieger automatisch qualifiziert war) im Achtelfinale des Europapokals der Landesmeister aus. Im Halbfinale scheiterte Barca fast am Hamburger SV. Die überheblichen Katalanen brauchten ein Wiederholungsspiel, um dann am 31. Mai 1961 im Berner Wankdorf-Stadion,1954 Schauplatz des sensationellen WM-Sieges Deutschlands gegen Ungarn, im Finale gegen das recht unbekannte Benfica Lissabon den Cup abzuholen (so glaubte man). Trainer Herrera war ein Jahr zuvor zu Inter Mailand gewechselt.

Luis Suarez stand nach zwei spanischen Meistertiteln (1959 und 1960) und der Wahl zum Fußballer Europas 1960 vor seinem größten Triumph. Und für Kocsis und Czibor wäre der Sieg in Bern eine kleine Wiedergutmachung für 1954 gewesen. Nichts da! Der Fußballgott mischte sich ein. Warum auch immer. Die Portugiesen mit ihrem ungarischen Trainer Bela Guttmann bereiteten sich im Hotel Belvedere in Spiez, dem Quartier der deutschen Nationalmannschaft 1954, vor. Dieser viel beschworene „Geist von Spiez“ waberte wohl immer noch durch die Hotelhalle. Die Spanier nutzten ein Stadthotel in Bern. Die Ungarn hatten sich 1954 ähnlich einquartiert, in Solothurns Innenstadt. In Innenstädten herrscht gelegentlich Unruhe. Und es kam, wie es kommen musste. Ein Deja vu für Kocsis und Czibor. Sie verloren erneut mit 2:3. Benficas Stern am europäischen Himmel ging auf, verglühte aber bald.

Das verlorene Finale läutete den Bedeutungsverlust der Katalanen im europäischen Vereinsfußball ein. Erst 1992 gewann der Verein seinen ersten Cup der Landesmeister. Und erst 64 Jahre nach Luis Suarez, 2024, wurde wieder ein Spanier Fußballer Europas, Rodri von Manchester City.

Luis Suarez folgte unmittelbar nach dem Finale in der Schweiz dem Lockruf Herreras zu Internazionale Mailand. Für damals sagenhafte 250 Millionen Lire bzw. 25 Millionen Pesetas wechselte er in die Lombardei. Das viele Geld floss in den Ausbau des Camp Nou. Aber der Mannschaft war das Herz verloren gegangen.

Jetzt kommt wieder die Oper ins Spiel. An der Scala in Mailand dirigierte Herbert von Karajan und im San-Siro-Stadion der Impresario Helenio Herrera. Beide Dirigenten, der eine am Pult, der andere an der Seitenlinie, waren Disziplinfanatiker, die über Weltklasse-Ensembles herrschten und zur Höchstleistung antrieben.

Die Superstars der Mailänder Scala jener Jahre waren Yehudi Menuhin, David Oistrach, Arthur Rubinstein oder Pablo Casals. Gelegentlich sang Maria Callas. In der „Opera del Calcio“, dem San Siro, hießen die fußballerischen Pendants der Musikvirtuosen Tarcisio Burgnich, Giacinto Facchetti, Armando Picchi, Jair, Sandro Mazzola, Luis Suarez und Mario Corso. Und sie wurden zum Sinnbild eines Gespenstes, das bald in Europas Fußballstadien in Gestalt italienischer Mannschaften auftauchte. Der Catenaccio.

Helenio Herrera.“ Alles Gerede von Schönspielerei und Offensive ist nichts als Geschwätz“ diktierte er in die Blöcke der schreibenden Zunft. „Nur das Ergebnis zählt, und zwar das positive“. Er argumentierte wie Vince Lombardi, legendärer Trainer der Green Pay Packers in der amerikanischen NFL und erster Coach, der den Superbowl (1967) gewann). „Offense wins Games, Defense wins Championships“. Einst sagte ein Spieler über den kantigen Brooklyner. “Er behandelte uns alle gleich, wie Hunde. Und wenn er gesagt hat: Setzen! schaute keiner hinter sich, ob da ein Stuhl steht.“ Es war die Zeit der Sklaventreiber mit Zuckerbrot und Peitsche. Max Merkel war ein gelehriger Beobachter dieser Umgangsformen mit lernbereiten Spielern.

La Grande Inter: Saison 1963/64: Oben von links: Guiliano Sarti; Giacinto Facchetti; Aristide Guarneri; Carlo Tagnin; Tarcisio Burgnich; Armando Picchi;
Unten von links: Jair; Bruno Petroni; Luis Suarez; Sandro Mazzola; Mario Corso

Der stark defensiv ausgerichtete Spielstil löste bei den gegnerischen Stürmern sofort Versagensängste aus, wenn es hieß: Es geht gegen Inter Mailand. Der Kerngedanke der taktischen Ausrichtung der Lombarden war, vor dem Torwart einen „Eisernen Vorhang“ von sieben Defensivspielern (alles brillante Einzelkönner) zu bilden, den Gegner in der eigenen Hälfte zu erwarten, ihn in sehr enge Räume zu zwingen und damit hinter dessen Rücken Freiraum für die eigenen Konter zu schaffen. Suarez war das Scharnier, um die Gegenattacken zu organisieren, wenn Corso, Mazzola oder Jair auf freie Jagd gingen. Zur Not folgte der schnelle Linksverteidiger Giacinto Facchetti dem „Halali“ und gab Flanken „wie Manna“ für die Stürmer (Zitat Roberto Boninsegna). Währenddessen sicherte Burgnich (der Fels) das eigene Gehäuse ab. Den gegnerischen Strafraum kannte er nur vom Hörensagen. Die Spielstrategie Inters war für Suarez wie geschaffen. Schnörkellos, ohne große Töne, zielorientiert! Unlateinisch, wie die Römer bei der der Eroberung Galliens. Luis hatte nicht das Temperament heißblütiger Südländer. Herrera: „Ich bevorzuge Spieler, die mit großem Tempo nach vorne stürmen, mit nicht mehr als drei Pässen in den Strafraum kommen. Es ist kein Problem, wenn man den Ball im Vorwärtsgang verliert -wenn du ihn jedoch verlierst, weil du einen Querpass spielst, dann wird man mit einem Gegentreffer bestraft“.

Die individuellen Fähigkeiten der großartigen Spieler jedweder Herkunft opferte er auf dem Altar der Erkenntnis, dass man auf Dauer mit offenem Visier nicht die großen Erfolge erzielt. Spanien ist das Land der Toreros. Es gilt, den Stier mit Täuschungsmanövern heldenhaft zu besiegen. Herrera erkannte, dass seine Spielphilosophie in Italien besser umzusetzen war. Die Italiener brauchen nur den Sieg, keine abgeschnittenen Ohren als Belohnung für den heldenhaften Sieg über einen blindwütigen Stier. Natürlich war es wichtig, dass dem Impresario die notwendigen Lire zur Verpflichtung von Spielern zur Verfügung standen, die in sein System passten. Fitness und mentale Stärke waren weitere Voraussetzungen. In Italien reicht das 1:0, um die Fans und die Nation glücklich zu machen.

Internazionale Mailand, der Club der Reichen der lombardischen Hauptstadt, wurde in jenen Jahren europäischer Hochadel. Die Trikots der „Nerazurri“ waren aus Kaschmir, Real Madrid oder der AC Mailand trugen Baumwolle. Bei den legendären Mailänder Derbys kam es immer wieder zu spektakulären Duellen mit den „Rossoneri“: Giovanni Trapattoni gegen Sandro Mazzola. Luis Suarez gegen Gianni Rivera, das Duell der „Goldfüsse“. Inter übernahm ab 1963 für die nächsten Jahre die Vorherrschaft in Europas Vereinsfußball, nachdem der AC Mailand am 22. Mai 1963 in London noch den Europapokal der Landesmeister gegen Benfica Lissabon (2:1) gewonnen hatte.

„Wenn ihr nicht wisst, wohin mit dem Ball, gebt ihn Luis“. Damit drückte Herrera seine Wertschätzung dieses „Mensch“gewordenen „Pulpo a la Gallega“ aus, dieser galicischen Delikatesse von Oktopus, warmen Kartoffelscheiben und rotem Paprikapulver. Das alles gedeiht im Nordwesten der iberischen Halbinsel, da wo der Wind pfeift. Suarez besaß eine einzigartige Spielübersicht und mit dem kongenialen Sandro Mazzola konnte er mit einem Spielzug die gegnerische Abwehr ausmanövrieren. Wenn der Ball merkte, dass er von Luisito gespielt wurde, überkam ihn ein Wohlsein.

Acht Jahre prägte der Galizier das Gesicht von Inter Mailand. In seiner Spielmacher-Epoche gewann der Club aus Mailand zwei Mal den Europapokal der Landesmeister (1964 und 1965), drei Mal die italienische Meisterschaft und als Krönung zweimal den Weltpokal gegen Independiente Buenos Aires (1964 und 1965). Zwangsläufig musste Luis Suarez 1965 wieder zum Fußballer Europas gekürt werden, zumal er 1964 mit Spanien als Kapitän auch noch Fußball-Europameister geworden war. Die Wahl der Jury fiel auf Denis Law von Manchester United. Eine seltsame Entscheidung. Law hatte noch nichts gewonnen.Viele Jahre später konstatierte Luis Suarez: „Sie haben mir den Titel geraubt“.

Seine Trainerstationen in Italien und Spanien ab 1973 bis 1995 waren vielfältig, aber nicht sehr erfolgreich. Fußball spielen und später zu kommentieren lag ihm mehr. Der spanische Radiosender Cadena SER schaltete Suarez gerne bei Spielen des FC Barcelona dazu, wenn das Idol die Spiele seines ehemaligen Clubs im TV in Mailand verfolgte. Hochkompetente Kommentare. Was war anders zu erwarten?

In Mailand vermisste er nach seiner Fußballer-Karriere den Geruch und das Geräusch des Meeres am Golf von Biskaya, seinen Pulpo a la Gallega und die berühmten Entenmuscheln. Gelegentlich ließ er sie sich nach Mailand schicken, um sie bei einem Lunch in einer Trattoria im Stadtteil Brera nahe San Siro mit Gästen oder Freunden in Verbindung mit einem Risotto oder einer ausgewählten Pasta zu genießen. Ein Genuss wie sein Spielstil, eine Symbiose aus rauem galicischen Spielstil und italienischer Grandezza.

Er verstarb 2023 in seiner zweiten Heimat. Nur noch zwei Spieler aus seiner glorreichen Zeit bei Inter wohnten seiner Beerdigung bei. Sandro Mazzola (Jahrgang 1942) und Jair (Jahrgang 1940). Die großen Mannschaften gehen allmählich vom Feld.

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