Jürgen Grabowski und Bernd Hölzenbein
„Der Joker“ und „De Man en de Schwalbe“

Biografie:
Geboren am 07.07. 1944 in Wiesbaden
Gestorben am 10.03.2022 in Wiesbaden
Grabstätte: Wiesbaden; Friedhof Biebrich, Bernhard-May-Straße 26
Feld A 31; Grab 110-111
Stationen der Karriere als Spieler
Position: Stürmer
Vereine: SV Biebrich 19 (1952-1960)
FV-Biebrich 02 (1960-1965)
Eintracht Frankfurt (1965-1980)
44 Länderspiele (1966-1974), 5 Tore
Weltmeister 1974
Europameister 1972
Deutscher Pokalsieger 1974 und 1975

Biografie:
Geboren am 09.03.1946 in Runkel-Dehrn/Lahn
Gestorben am 18.04.2024 in Neu-Isenburg/Gravenbruch
Grabstätte: Frankfurt/Main, Südfriedhof, Darmstädter Landstraße 229;
Feld C; Grab 0816
Stationen der Karriere als Spieler
Position: Stürmer
Vereine: TuS Dehrn (1955-1966)
Eintracht Frankfurt (1966-1981)
Fort Lauderdale Strikers /USA/ (1981-1982)
Memphis Americans/USA (1982-1984)
Baltimore Blast/USA (1984-1985)
FSV Salmrohr (1985-1986)
40 Länderspiele (1973-1978), 5 Tore
Weltmeister 1974
Deutscher Pokalsieger 1974, 1975, 1981
UEFA-Pokalsieger 1980
Wenn ein Fußballer einen runden Geburtstag hat, und dann noch den Dreißigsten, und das in Verbindung mit einem Sonntags-Spiel, weiß er, dass es danach eine feuchte und kostspielige Geburtstagsparty mit seinen Mitspielern und Freunden zu geben hat. Umso schöner ist es, wenn die eigene Mannschaft an diesem Tage auch noch einen Titel gewinnt. Jürgen Grabowskis Geburtstagsfeier am 7. Juli 1974 war nicht kostspielig, weil der DFB alles bezahlte. Denn an jenem sonnigen Tag wurde Deutschland im Olympiastadion von München um 17.47 Fußball-Weltmeister und Jürgen Grabowski stand die ganzen 90 Minuten auf dem Platz. Sein größter Anteil am Sieg war, dass er in der 43. Minute den sich freilaufenden Rainer Bonhof am rechten Flügel der Deutschen schön freispielte. Der drang in den holländischen 16er ein und seine scharfe Hereingabe verarbeitete Gerd Müller zum 2:1 für Deutschland. Das reichte zum WM-Sieg.
Bei der vom DFB ausgerichteten Siegesfeier im Münchner Hilton im Tucher-Park, die zwangsläufig auch Grabowskis Geburtstagsfeier war, kam es zu einem offenen Bruch der meisten Spieler mit dem DFB. Denn ihre Frauen und damit auch Grabowskis Frau Helga waren nicht eingeladen, dafür die weiblichen Pendants der DFB-Funktionäre. Bereits während der Feier verließen viele Spieler das Hotel in Richtung Münchner Bars und Discos, wo sie mit ihren verbannten Lebensgefährtinnen dann doch noch den Titel feiern konnten. Da verflog für ein paar Stunden die Katerstimmung
Doch der Fauxpas des DFB hatte gravierende Folgen. Am nächsten Tag gaben Jürgen Grabowski, Gerd Müller, Wolfgang Overath und Paul Breitner verärgert ihren Rücktritt aus der National-Mannschaft bekannt.
Zurück zum Finale: 20 Minuten vor Grabowskis Anspiel auf Bonhof hatte sein Stürmerkollege von Eintracht Frankfurt, Bernd Hölzenbein, die deutsche Mannschaft nach dem 0:1 in der ersten Minute wieder ins Spiel gebracht. In der 23. Minute nahm Hölzenbein einen langen Pass Wolfgang Overaths auf und stürmte von links kommend in den holländischen Strafraum. Er nahm billigend in Kauf, dass er das Subjekt einer Grätsche werden könnte. Wim Jansen entschloss sich, mit einem Tackling das Geschehen im holländischen Strafraum zu entschärfen, hatte aber nicht mit der Flugkunst einer deutschen Schwalbe gerechnet, personifiziert in einem Spieler, dessen Name Urängste bei seinen Gegenspielern auslösen konnte. Hölzenbein! Dieser Nachname ließ Assoziationen an den Verteidiger Heribert Finken von Hertha BSC Berlin aufkommen, der seine Gegner, unter anderem auch Stan Libuda, immer persönlich begrüßte: „Mein Name ist Finken, und du wirst bald hinken“. Auch Schlotterbeck, Stollenwerk oder Schwarzenbeck können und konnten Versagensängste bei Stürmern auslösen. Und der Trainer der Niederlande im legendären Achtelfinale der WM 1990 gegen Deutschland, Leo Beenhakker, löste Assoziationen aus, die ein Stürmer überhaupt nicht mag. Hölzenbein hingegen war ein filigraner Stürmer mit Spielwitz, der Mann der absurden Geistesblitze, ähnlich Thomas Müller vom FC Bayern. Man durfte ihn nie aus den Augen lassen, auch wenn sein melancholischer Blick eine gewisse Lethargie vermuten ließ.
Wim Jansen wusste bei seiner Abwehraktion in München nicht, dass „Holz“ mit den Füßen das „Fingerhakeln“ beherrschte. Das Ende vom Lied: Hölzenbein landete nach scheinbarer Feindberührung wie ein Sperlingsvogel, aber nicht wie eine Lerche, sondern kunstvoll wie eine Schwalbe spektakulär und mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Rasen des Münchner Olympiastadions. Schiedsrichter Taylor -es gab noch keinen VAR-zeigte sofort mit der gleichen Konsequenz auf den Elfmeterpunkt wie 22 Minuten vorher, als Johan Cruyff von Uli Hoeneß und Berti Vogts gefoult wurde und Johan Neeskens zum 1:0 für Holland verwandelte.
Als der deutsche „Uitfinder van de Schwalbe“ (niederländisch „Erfinder der Schwalbe“) wieder von den Toten auferstanden war, vermied er Grundsatzdiskussionen mit den Holländern über das Flugverhalten einer deutschen Schwalbe. Er schaute nur zu, wie Paul Breitner sich mit der Gelassenheit eines Vollstreckers das Spielobjekt griff und zur Exekution schritt. Die Gnade des Henkers liegt im sicheren Hieb. Ausgleich zum 1:1. Das war der Wendepunkt des Spiels. Dieser Schlüsselmoment der 23. Minute brannte sich tief in das Gedächtnis der Niederländer ein. Für Hölzenbein wurde die Schwalbe zu seinem Wappentier, in Holland war er nur noch „de Man en de Schwalbe“. „Holz“ hat sich nie zu einer „Schwalbe“ bekannt, bestenfalls überflog ein verschmitztes Lächeln sein Gesicht, wenn er die Frage danach verneinte.

Quelle Foto: Wikimedia Commons
Als die niederländische Presse im April 2024 den Tod von Bernd Hölzenbein vermeldete, brach eine Wunde im Land des Käses auf, das zu rund 26% unter dem Meeresspiegel liegt. Die fast 50 Jahre alte Verletzung vom Juli 1974 war in den Köpfen unserer Nachbarn nicht richtig verheilt und löste immer wieder Phantomschmerzen bei Länderspielen zwischen diesen Völkern germanischen Ursprungs aus, vor allem, wenn es um etwas ging. Ein Beispiel: Nach dem Halbfinalspiel der EM 1988 in Hamburg, das mit einem 2:1 Sieg Hollands endete, nahm Ronald Koeman das mit Olaf Thon getauschte Trikot, zog das weiße Shirt aber nicht über, sondern wischte sich mit feixendem Gesichtsausdruck damit den Hintern ab. Eine andere Episode gegenseitiger Abneigung in diesem Spannungsverhältnis seit der deutschen Besatzung zwischen 1940 bis 1945 geschah vor den Augen der Weltöffentlichkeit am 24. Juni 1990 im Meazza-Stadion von Mailand. Im WM-Achtelfinale zwischen den beiden fußballerischen Erzfeinden stand es in der 22. Minute noch 0:0, als nach einer anfangs undurchsichtigen Aktion im holländischen Strafraum Frank Rijkaard und Rudi Völler verbal aneinandergerieten und beide die „rote Karte“ erhielten. Beim Verlassen des Tatortes verspürte Rijkaard ein Bedürfnis, das als „Mutter aller Spuckattacken“ in die Annalen des Profi-Fußball einging. Ziel und Treffpunkt war Rudi Völlers „Vokuhila-Frisur“. Deutschland gewann 2:1.
Die Gemeinsamkeit von Grabowski und Hölzenbein war nicht allein der Gewinn des Weltmeistertitels. Beide stehen für die beste Zeit der Frankfurter Eintracht in der Bundesliga. Die zwei „Schlappekicker“ im Sturm schlugen von 1966 bis 1980 viele gemeinsame Schlachten. Hölzenbein lief 420-mal in der Bundesliga auf und erzielte 160 Tore. Grabowski stand ihm mit 441 Erstligaspielen und 109 Toren nicht nach. Aber auch Frankfurts Ruf der „Diva vom Main“ oder der „launischen Diva“ entstand in der Ära Grabowski und Hölzenbein und dem „ewigen“ Karl-Heinz Körbel. Man zeigte hervorragende Spiele und hatte auch große Erfolge mit zwei DFB-Pokalsiegen und dem Gewinn des UEFA-Pokals (Grabowski fehlte im Finale verletzt), um dann binnen Tagen gegen unterdurchschnittliche Mannschaften zu verlieren.
Noch einmal ein Blick zurück auf große sportliche Erfolge dieser beiden Ausnahmekönner in der Offensive. Grabowski machte am 4. Mai 1966 sein erstes Länderspiel, Hölzenbein seines sieben Jahre später, am 10.10.1973. Grabowski wurde sofort nach seinem Debut von Bundestrainer Helmut Schön in den Kader für die WM 1966 in England berufen, bestritt aber kein Spiel. Erst 1970 – bei der WM in Mexiko-trat er in das internationale Rampenlicht. Zwei Höhepunkte stehen für ihn, der überwiegend als Joker eingesetzt wurde, das aber höchst erfolgreich.
Das WM-Viertelfinale gegen England in der Gluthitze von Leon/Mexico am 14. Juni 1970 war ein Höhepunkt in Grabowskis Nationalmannschaftskarriere. Deutschland lag bereits mit 0:2 zurück. Es sah nicht gut aus für die Mannschaft um Uwe Seeler, Gerd Müller und Franz Beckenbauer bei dieser WM-Revanche von Wembley 1966, bis Trainer Helmut Schön „Grabo“ in der 57. Minute aufforderte, den Sombrero abzunehmen, der ihn auf der Auswechselbank vor der im Zenit stehenden Sonne schützte. Im englischen 4-4-2 System von Coach Alf Ramsey mussten die englischen Außenverteidiger auch die Aufgaben von nicht im System vorgesehenen Außenstürmern übernehmen und waren bei 40 Grad Außentemperatur nach rund 60 Minuten platt. Der frisch für den ebenfalls erschöpften Stan Libuda ins Spiel gekommene Grabowski veränderte die Balance und schuf immer mehr Lücken in der englischen Abwehr. Und als Ramsey auch noch Bobby Charlton durch Colin Bell ersetzte, vielleicht auch hitzebedingt, drehte sich das Spiel entscheidend, weil Beckenbauer den glatzköpfigen Spielmacher nicht mehr „beschatten“ musste, sondern frei aufspielen konnte. Deutschland gewann das Spiel noch mit 3:2 n.V.
Und dann kam das „Jahrhundertspiel“, das Halbfinale gegen Italien. (3:4 n.V.) Grabowski spielte durch und schuf mit einer Flanke in der 92. Minute (der Uhrzeiger stand schon auf 0) die Grundlage für eine Wortschöpfung, die im TV-Kommentar von Ernst Huberty fiel: „Ausgerechnet Schnellinger werden die Italiener sagen“.
Verteidiger Schnellinger war zum ersten Mal im 16er eines Gegners und interpretierte den Torschrei als Abseitspfiff. Ihm erschien es merkwürdig, dass er im Fünfer der Italiener (!!!) derart frei zu einer Tor-Grätsche ansetzen konnte. Außerdem hatte Schiedsrichter Arturo Yamasaki aus Peru die Deutschen bis dahin gnadenlos verpfiffen. Dem war zuzutrauen, dass ihm auch bei diesem Tor etwas einfiel, es nicht zu geben. Vielleicht, dass Schnellinger sich unberechtigt im Strafraum der „Spaghetti“, wie man die Männer vom italienischen Stiefel damals häufig respektlos nannte, aufhielt. Aber der Pfiff blieb aus. Schnellinger: „Mein Kopf war im Augenblick des Glücks ganz leer. Was mein Tor angeht, an dem hatte Grabowski einen größeren Anteil als ich.“
Nach dieser WM bezeichnete die Fußball-Fachwelt Grabowski als besten Einwechselspieler der Welt. Dieses Lob mochte der gar nicht. „Als Fußballer willst du kein guter Einwechselspieler sein, du willst spielen“. Seine große Zeit kam noch und im Finale 1974 war er gleich in der „Starting Eleven“ von Trainer Helmut Schön bzw. Franz Beckenbauer.
Nach ihrem Karriereende verblieben beide Urgesteine im Umfeld der „Eintracht“, aber bewusst nicht immer im Rampenlicht. Eine Ausnahme war, als Hölzenbein 1988 die Vize-Präsidentschaft bis 1996 übernahm. Auch später als Chefscout war er ein wichtiger Ratgeber bei der Zusammenstellung der Kader. Stellvertretend für sein untrügliches Gespür für Spieler mit Potential stehen die Namen Andy Möller, Manni Binz, Uwe Bein, Uli Stein, Jay Jay Okocha.
Jürgen Grabowski verbrachte seine Karriere nach der Karriere etwas distanzierter vom wöchentlichen Spielgeschehen rund um die Eintracht. Der „Schlappekicker“ führte im schönen Taunusstein in ruhiger Distanz zur hektischen Mainmetropole Frankfurt eine Agentur der Gothaer Versicherung. Das entprach seinem zurückhaltenden Naturell, außer als Stürmer in der Zeit seiner großen Erfolge als Nationalspieler und später als einer der besten Mittelfeldspieler der Bundesliga. Bundestrainer Helmut Schön versuchte alles, Jürgen Grabowski für die Teilnahme an der WM 1978 in Mexico zu gewinnen. „Grabo“ lehnte ab.


Feld C; Grab 0816